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Irgendwann vor ungefähr 150 Jahren begegnen sich neun Menschen auf dem Pilgerweg zwischen Mekka und Medina. So eng man auch innerhalb einer Karawane durch die Wüste zusammenrückt, die Begegnungen dieser neun meinen ein zufälliges, loses Zusammentreffen und nicht etwa z.B. den miteinander verbindenden, gemeinsamen Austausch von Geschichten an einem Lagerfeuer. Lediglich einem Ding, einer Satteltasche mit geheimnisvollen Schriftrollen gelingt es, diese neun auf ganz unterschiedliche Art zu berühren. Diese Tasche wird von ihnen nacheinander wahrgenommen, berührt und scheinbar auch in Besitz genommen und birgt doch für jeden ein eigenes, mit den anderen ungeteiltes Geheimnis.
'Als hätte der junge Salman Rushdie das Buch geschrieben!' meint die Times über diesen Debütroman von Bahiyyih Nakhjavani. Das weist bereits auf die Klasse dieses Romanes hin, verdeckt aber auch die gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Autoren. Während der in Bombay geborene Rushdie durch seine barock überschäumenden Assoziationsketten bis ins schier Uferlose zu fabulieren weiß, pflegt die im Iran geborene Nakhjavani hier trotz aller orientalischen Ausschmückungen einen sehr gebändigten Erzählstil, was sich auch im vergleichsweise geringeren Seitenumfang dieses Buches zeigt. Während Rushdies Romane insbesondere den satirisch geschärften Blick auf das von ihm Beobachtete und die eigene Vita nutzen, um sich davon leiten zu lassen, verweisen die Quellenangaben der Autorin darauf, daß sie ihre Geschichte von Anfang an als Parabel geplant hat, die sie dann allerdings nicht minder funkensprühend mit Leben zu füllen vermochte.
Diese neun Reisenden sind übrigens ein Dieb, eine Braut, ein Räuberhauptmann, ein Geldwechsler, eine Sklavin, ein Pilger, ein Mullah, ein Derwisch und der beredte Leichnam eines reichen Kaufmanns. Aber auch wenn diese Personage nacheinander sehr klingend in durchgehend formvollendeter Sprache vorgestellt wird, durchbricht Nakhjavani immer wieder das Tausendundeine-Nacht-déjà-vu, indem sie die Rollen sehr pointiert als modern hinterfragte Masken offenlegt. Die sich daraus ergebenden satirischen Momente wirken durch diesen Kunstgriff womöglich sogar subversiver und subtiler als bei Rushdie, und so hat diese Autorin das Zeug zu einer weiteren überzeugenden Brückenbauerin im Verständnis zwischen orientalischer und okzidentaler Weltanschauungen.