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Diagnose: Suchtkrank. Ursache: Politik - da bekommt mensch richtig Mitleid,
was nur folgerichtig ist, denn wir, liebe Mitbürger/innen sind die
Droge und reichen die Spritze, die nach Gebrauch ausgeschwitzt und weggeworfen
werden. Der "Fall" H.G. (der Name Heiner Geißler ist uns allen
bekannt) gehört nach Reimar Oltmanns zu einer der Spitzen des seelisch-moralischen
Eisgebirges auf dem Bonner Hochplateau. Dafür benennt der Autor Zeugen,
u.a. Walter Jens: "Seine Doktorarbeit (H.G's) würde heute jeder
Friedensbibliothek zur Ehre gereichen - und zugleich verdeutlichen, wie
ein Mensch moralisch und intellektuell auf den Hund kommen kann". Wer
so argumentiert, dem geht es nicht um billige Kohlauer - bei diesem Thema
allerdings selbst für nahezu neutrale Zitierer unvermeidlich - es
geht um schlimmeres. H.G. war nicht immer 'Der Intrigant', der mal so nebenbei
PR-schwanger von sich gibt, daß der Pazifismus nach Auschwitz geführt
habe. Als Hinterbänkler plante er allen Ernstes ganz selbstlos die
'Daseinsfürsorge für alle'. Noch 1977 "eilte ihm selbst beim
politischen Gegner eine respektable Reputation voraus.(..) Mehr als einmal
fragte sich Willy Brandt bei der Lektüre Geißler'scher Reden,
ob seine gesellschaftspolitischen Analysen, etwa über Umwelt und Wachstum,
nicht auch von ErhardEppler hätten stammen können."
Obwohl der Autor vermutlich nicht die CDU wählt, ist Trauer zu
spüren. Trauer darüber, daß der Machtmechanismus in Bonn
so perfekt funktioniert und einen Mann wie Geißler in relativ kurzer
Zeit so deformieren kann. Vielleicht hätte es noch deutlicher herausgearbeitet
werden müssen, daß es sich bei dem ausführlich belegten
Intrigenspiel innerhalb der CDU um ein - wenn auch markantes und plakatives
- Beispiel handelt, das nicht als exotisches Blümchen in Raum und
Zeit steht. Da zitiert Oltmanns aus dem Vortrag 'Der Beruf zur Politik'
von Max Weber im Jahre 1919(!):Der Politiker ist "stets im Gefahr, sowohl
zum Schauspieler zu werden, wie die Folgen seines Tuns leichtzunehmen und
nur nach dem 'Eindruck' zu fragen, den er macht."
Allein schon deshalb lesenswert, weil uns Oltmanns mit der Beschreibung
der banalen Wirklichkeit eines Politikers klarmacht, daß es für
schwarzen Humor genügend Anlaß gibt. Aber schwarzer Humor ist
auch nur eine Form der Verdrängung.