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Kurt Palm

Hermes Phettberg - Frucade oder Eierlikör

"Seminare". Knaur Tb Verlag, München 1996, 430 S., ISBN: 3-426-60536-8, >>> Amazon
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Manchmal weiß man wirklich nicht, ob das zum Frohlocken oder zum Bedauern ist: Erst wird etwas als obszön, jugendverderbend und überhaupt den Kanon aller Grundwerte bedrohend eingestuft, und dann ... Die Halbwertzeiten der Aufgeregtheiten werden immer kürzer. Zog sich in den 60ern das Wehgeschrei über die Austrahlung des Beat-Clubs mit seiner Pilzkopf-Musik noch jahrelang dahin, um sich schließlich als mediales Millionengeschäft zu saturieren, haben die Privatsender mit ihren Endloswiederholungen alter Schulmädchenreports nun auch den Sexus seines öffentlich rechtlichen Tabus beraubt. Das hat Folgen! Leider sind sie nur über den österreichischen Sender ORF zu empfangen - vermutlich (immer noch) zum höchsten Graus der nachbarlichen Sittenwächter im Bayrischen Rundfunk. Dabei sieht man in "Phettbergs Nette Leit Show" keinen unziemlichen Millimeter nackter Haut, ja der Sex an sich wurde darin noch nicht einmal direkt zum Thema erhoben, dennoch ist diese Show im besten Sinne anstößig. Josef Fenz alias Hermes Phettberg gibt seinem Pseudonym alle Ehre. Das Gegenteil eines lediglich muskelbewußten Glattgesichts lädt sich pro Sendung drei Gäste ein, z.B. einen Hollywoodschauspieler, einen Musiker und den Schulungsleiter der städtischen Bestattung Wien. Zwischen dem ersten und dem zweiten Gast wird ein Video eingespielt, zwischen dem zweiten und dritten singen die Brüder Poulard. Darüberhinaus ist der Unterschied zu 'Boulevard Bio' eklatant: Bestimmt nicht, weil sich bei Phettberg nur im Notfall des Hochdeutschen befleißigt wird, und auch nicht, weil sich möglichst jeder Gast am Dosenschießen zu beteiligen oder nur zwischen Frucade oder Eierlikör zu wählen hat. Während jedoch Alfred 'Bio' Biolek am liebsten nur so tut, als ob er nichts weiß, vermag Phettberg glaubwürdig wie ein Kind zu fragen und auch wie ein Kind auf seinen Fragen zu beharren. So sinniert er z.B. in einem Gespräch mit einem Architekten:
"Und ich denke mich zu Tode, ich komme zu keinem ... also ich denke und denke und denke, oft steh ich, des Licht is scho aus, ich steh do a Viertelstund. Wann do mei Nachbarin kummt, schlofwandelnd, triffts der Schlag, weil i do so lahn (lehne). Und ich denke über diese Stufen nach, warum die net abstürzen. Allan während des Augenblicks könnts ja abstürzen, während ich do oben steh, weil ich hob ja allaa hundertfuffzig Kilo, und des stürzt net ab ..."
Für den spießbürgerlichen Hetero besonders aufregend ist freilich, daß Phettberg völlig unaufgeregt sein Schwulsein, seinen Hang zum Sadomaso, seine Ängste ... eben sich in den Kontext seiner Fragen einbringt. Die Gäste und "Gästinnen" verlieren allesamt ihre Scheu, nehmen die krudesten Fragen ernst und meinen - sofern sie überhaupt zu Wort kommen - mit ihren Erklärungen helfen zu müssen ... und zu können. Das führt zu einer ganz subtilen Form des Entlarvens (oder auch der Bestätigung), ohne je in peinliches Vorführen abzugleiten. Der sanfte Hermes Phettberg würde nie eine Antwort als falsch oder blöde abtun, er staunt nur und die Zuschauer staunen mit. Zu was da noch schrille "Gags" draufsetzen?
Wer weder im deutsch-österreichischen Grenzland wohnt noch verkabelt ist, kann sich nun an einer Auswahl der schönsten "Seminare" in einem allemal sein Preis wertes Taschenbuch erfreuen. In HERMES PHETTBERG - FRUCADE ODER EIERLIKÖR sind knapp 40 Höhepunkte aberwitziger Dialoge zusammengefaßt, ergänzt von zahlreichen s/w-Fotos, die Assistent "Robin" nach jedem Gespräch mit seiner Polaroid-Kamera schießen durfte, sowie von einem Glossar, der mit seinen Übersetzungshilfen auch den Nordlichtern einen Zugang zu diesen Kabinettstückchen alltäglichen Wahnsinns erlaubt.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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