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In seinem Wohnviertel kannte jeder den 8-jährigen Owen Cassidy und dennoch blieb er seit dem Nachmittag des Halloween 1991 spurlos verschwunden. Seine Eltern dachten, das Au-pair-Mädchen Marianne würde auf ihn aufpassen, während Marianne meinte, der Vater Owens hätte nicht über ihren freien Nachmittag zu verfügen. Deshalb wurde Owen mit seinem besten Freund nach draußen geschickt. Doch dann kam es zum Streit der Freunde, so dass Owen plötzlich allein war …
Julie Parsons hat nach "Mary, Mary", "Die Insektenforscherin" und "Rache kennt kein Gebot" mit "Sündenherz" wieder einen Spitzenkrimi vorgelegt, der sie auf einen Rang mit Minette Walters stellt. Wie jene setzt sie auf keinen Serienhelden, ihre Protagonisten entstammen zwar meist der bildungsbürgerlichen Mittelschicht, reiben sich aber auch an ebenso ausführlich ausgestalteten anderen Bevölkerungsgruppen, so dass keine Vorurteile und Klischees à la Agathe Christie bedient werden. Im Unterschied zu Walters wird bei ihr jedoch nicht London sondern Dublin zum Drehkreuz des Geschehens, und Parsons entwickelte bislang auch stets einen großen, ausführlich beleuchteten Handlungsstrang in ein weit von Dublin entferntes Land. So sehr beide Autorinnen auf psychologische Dichte und Plausibilität in ihren Kriminalromanen setzen, wirkt Parsons noch um ein Quäntchen literarischer als Walters. Die Atmosphäre, die von Landschaften oder Personen ausgeht, wird von ihr sehr detailliert in mitreißenden Metaphern eingefangen, ein besonderes Stilmerkmal aber ist die Art ihrer Rückblenden. Sie wird nicht durch einleitende Sätze kenntlich gemacht, sondern unvermittelt als neuer Absatz in die gegenwärtige Handlung eingebaut. Das macht die irische Autorin derart gekonnt, dass dadurch eine so irritierende wie erhellende Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung nachvollziehbar wird.
Alle, das Opfer, die trauernden Hinterbliebenen, das betroffene Umfeld samt möglichen Tätern und nicht zuletzt die ermittelnden Polizisten sind in ihren unterschiedlichen Antrieben bemerkenswert lebensnah strukturiert. Die Verknüpfung dieses gleichrangigen Nebeneinanders erzielt einen bis zur letzten Seite überzeugenden Spannungsbogen, dem sich kaum einer zu entziehen vermag. Am Eindringlichsten ist ihr das im nun auch als Taschenbuch (Knaur-Verlag) erschienene "Mary, Mary" gelungen.
Aber auch "Sündenherz" reißt einen mit, selbst wenn die Figuren hier zuweilen etwas schablonenhafter als in "Mary, Mary" geraten sind. Hier zerbricht nach dem Verschwinden Owens als Erstes die Ehe von Nick und Susan Cassidy. Er, gut aussehend und bekannter Kinderbuch-Illustrator, hatte sein Hausmann-Dasein immer wieder durch Seitensprünge aufgelockert - auch an jenem schicksalhaften Nachmittag - während Susan sehr ambitioniert als Ärztin gegen den Krebs von Kindern ankämpfte. Am vorläufigen Ende der Ermittlungen flüchtet Nick voller Schuldgefühle für fast 10 Jahre in die USA. Erst als er dort eine einstige Nachbarin und Freundin Mariannes als Stripteasetänzerin entdeckt, treibt es ihn wieder nach Hause. Und die neue Sicht auf alte Feststellungen hilft tatsächlich dem vergangenen Geschehen auf die Spur zu kommen.