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Tante Roza ist Nonne und bricht 1946 als Missionarin nach China auf.
1953 kehrt sie kurz in ihr flämisches Heimatdorf zurück, nur
um alsbald wieder fortzugehen, diesmal nach Indien. Dort bleibt sie, abgesehen
von einer weiteren Stippvisite, nun bis an ihr Lebensende. Für ihre
Familie wird Tante Roza zu einem briefeschreibenden Phantom, das gerade
durch seine Abwesenheit den Blick auf die fernen Länder zieht, in
denen sie als Missions- bzw. Krankenschwester wirkt. Nicht gerade als Auslöser
differenziert analytischer Betrachtung, sondern innerhalb der Maßstäbe
handfester Zuordnungen, die zuletzt nur noch in ein Schulterzucken münden.
Erst sehr spät erfährt deshalb der Ich-Erzähler von den
schrecklichen Erlebnissen seiner Tante in China, oder auch davon, daß
Tante Roza jeden sehnsüchtig erbetenen Brief aus der Heimat noch am
selben Tag vernichtete. Sie wollte sich von keinem Ballast erdrücken
lassen.
Der preisgekrönte belgische Autor Leo Pleysir stellt in diesem
Buch dem egoistisch beschränkten Blick auf das Naheliegende die oft
nur schemenhaft durch Zeitungsmeldungen wahrgenommene Ferne gegenüber.
Das dennoch vermeintlich sicher eingeordnete "Wissen" kann so nur zu Trugschlüssen
führen. Ironisierte Brechungen aus der Kindheit, die sich in drögen,
im Nachhinein komischen Dialoghülsen widerspiegeln, münden schließlich
in die geradezu zärtlich formulierte Erkenntnis, daß jedwede
Entscheidung nicht ohne Verletzungen bei anderen zu treffen ist. Eine mitreißende
Erzählung, die noch über die Lektüre hinaus Wirkung zeigt.