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Irgendwo, irgendwann im Land der Steppen. Immer wieder wird es neu erobert,
denn die mongolischen Nomaden sind zwar tapfere Einzelkämpfer, vermögen
jedoch keine großen Heere zu bilden. Aber was heißt hier schon
erobert? Der im Wind singende Sand der wandernden Hügel läßt
sich nur schwerlich begrenzen, genausowenig wie sich die dazwischen lebenden
Bewohner leicht ausfindig machen lassen. Sie bestellen keine "Äcker
des Bodens", sondern "Äcker der Hufe". Und weil ihre Lebensgrundlage
nie lange auf demselben Platz bleibt, müssen sie immer weiterziehen
bis ihr Vieh jene wildwachsenden Pflanzen findet, die es am Leben erhalten.
Schwierig, wenn man wie Peregrin ein "Knochenbrecher" ist. Kaum
scheint sein Bein unter dem Verband geheilt zu sein, bricht es gleich wieder.
Selbst an den Ruhetagen fühlt Peregrin sich ausgeschlossen, denn zu
einem richtigen Fest gehört auch das Tanzen. Dabei hatten sich schon
eine Menge Schamanen an seinem Bein versucht.
Peregrins letzte Hoffnung ist Bod Pa: Ein häßlicher, blinder
Zwerg, der selber hinkt. Anstelle von Zaubersprüchen, Handauflegen
und Amuletten gibt er nur rätselhafte Antworten auf ungestellte Fragen,
und direkte Fragen beantwortet er entweder gar nicht oder widersprüchlich.
"Und wenn schon!" denkt sich Peregrin, denn das ist sein Totschlagargument
für alles, was ihm nicht paßt.
Die ersten 23 Seiten könnten für ungeübte oder lediglich
"auf Action abfahrende" Leser eine Hürde sein. Da bereitet
Anton Quintana ganz allmählich, aber in eindringlichen Bildern das
Tableau vor, auf dem er seine Geschichte von Peregrin und Bod Pa präsentiert.
Und dieses Tableau ist nun mal eine Steppe, in der außer dem Wind
und einem einsamen Reiter sich nur wenig zu bewegen scheint. Mit dem Vorstellen
Peregrins erhöht sich jedoch das Tempo, wird es sofort spannend, als
sich dann auch bald der einsame Reiter aus dem Norden zu erkennen gibt.
Trotz seiner Häßlichkeit strahlt Bod Pa eine Würde aus,
an der Peregrins kultivierter Widerwille einfach abprallt. Peregrin muß
zugeben, daß Bod Pa zwar brutal aber redlich ist, zwar einen gewissenlosen
Eindruck macht, aber sich sehr konsequent an die von ihm selbst aufgestellten
Regeln hält und da, wo andere nur denken, hat er sein Denken längst
in Handeln umgesetzt. Das Notwendige ist gut, das Unnötige schlecht.
Aber die wirkliche Stärke von "Wandernde Hügel, Singender Sand"
liegt eben gerade darin, daß hier kein übermächtiger Meister
einem devoten Schüler gegenübersteht. Peregrin wehrt sich und
trifft mit seinen Entgegnungen oft genug ins Schwarze. Und Bod Pa, der
nicht zuletzt auch ein gefährlicher Schwertkämpfer ist, respektiert
ihn dafür.
Die Ängste vor dem Verlust des Alten, vor der Unwägbarkeit
des Neuen, die Ängste vor dem Leben, vor dem Tod werden hier im besten
Sinne sokratisch erörtert. Weniger die Antworten als die richtigen
Fragen und vor allem die nicht nachlassende Auseinandersetzung mit allen
Fragen des Lebens und des Todes stehen im Zentrum. Und bei aller Wertschätzung
von "Sophies Welt": Anton Quintana vollbrachte das Kunststück, sein
Philosophieren als eine Erzählung zu entfalten, die nicht nur den
Kopf bewegt, sondern auch insgesamt anzurühren vermag. Peregrin und
Bod Pa gehen einem "zu Herzen". Man kann sich mit ihnen identifizieren
und sich an ihren Vorstellungen geradezu fühlbar reiben - durchaus
auch bereits mit 14 Jahren.
Das hat natürlich auch etwas mit der Erzählweise zu tun.
Ob Poesie, Slapstick oder umwerfend dröger, schwarzgalliger Humor:
Mirjam Pressler, einmal mehr in Höchstform, vermochte Quintanas Facettenreichtum
sehr überzeugend ins Deutsche zu übertragen. Keineswegs nur weil
das Original bereits in den Niederlanden preisgekrönt wurde, kann
der Deutsche Jugendliteraturpreis dieses Buch kaum übergehen ...