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Gerade mal 46 Jahre alt geworden, ist im August letzten Jahres Rio Reiser
gestorben. Im Berliner Tempodrom-Zelt gab es dann eine große Benefizveranstaltung,
bei der ihn die nationalen Pop- und Rockgrößen mit seinen Liedern
verabschiedeten. Aber ob sein Leben und Werk wie kürzlich das von
Roy Black dereinst als Vorlage für einen Film dienen wird, bleibt
mehr als fraglich. Vielleicht ist das auch gut so. Verlogenheit war seine
Sache nicht. Wer ihm wirklich auf die Spur kommen will, wer das Spektrum
seines Schaffens vom politischen Hau-ruck-Rock à la "Macht kaputt,
was euch kaputt macht" mit "Ton Steine Scherben" bishin zu seinen vergleichsweise
wortgewichtigeren, ironisch-poetischen Solo-LPs nachvollziehen will, dem
sei seine nunmehr auch als Taschenbuch vorliegende Autobiographie empfohlen.
Inwiefern er sich darin von seinem Co-Autoren Hannes Eyber unterstützen
lassen mußte, wird nicht deutlich. Das Ganze ist aus einem Guß
und in einem schnörkellosen Ton erzählt, daß man Rio selbst
sprechen zu hören meint. Und sich, insbesondere je näher man
ihm dem Alter nach nahesteht, vor Lachen auf die Schenkel oder an den Kopf
schlägt.
Rio ist zwar im Trümmer-Nachkriegs-Berlin geboren, aber
es sind dann nur einige Jahre, die er in dieser Stadt "wirken" wird.
Davor sind es die wechselnden Arbeitsplätze seines Vaters, die ihn
nach Bayern und Hessen verschlagen. Danach ist es seine eigene Unruhe,
die ihn ins norddeutsche Fresenhagen treibt. Rios Geschichte spiegelt ein
wesentliches Stück "linker" Zeitgeschichte. Und zwar aus der
Sicht eines Menschen, der den Ausstieg aus konventionellem Leben nicht
erst lange theoretisch und womöglich gar dogmatisch erörterte,
sondern ihn einfach und scheinbar ganz "natürlich" vollzog.
Das gemeinsame Leben mit den rotierenden Teilhabern wechselnder Theater-
und Musikprojekte, das Miteinanderteilen von Erfolgen und Mißerfolgen
bildeten alsbald ein chaotisches Ganzes. Trotz "solidarischer" Selbstausbeutung
und Schuldenberg schien hierbei das Glücksgefühl zu überwiegen.
Da Rio vorwiegend seine Kindheit und die Zeit mit "Scherbens" bis
in die 70er Jahre schildert, die Zeit danach aber nur auf wenigen Seiten
anklingen läßt, hat dieses Buch den Charme all solcher Bücher,
die auf die "ersten Jahre" zurückblicken.
Das ist stets sehr
komisch und ein bißchen wehmütig, weil unwiderbringlich vorbei,
und man staunt, wie diese Jugendzeiten überlebt wurden. Rio scheint
sich jedoch länger als viele andere jene Authentizität bewahrt
zu haben, die man eben sonst nur noch bei Kindern und Jugendlichen findet.
Leider hat er sich offenbar auch den jugendlichen Umgang mit Drogen bis
an sein Lebensende bewahrt. Insofern war es wahrscheinlich gar kein so
großer Zufall, daß man ihn bereits 1993 um eine Autobiographie
anging. Sicher kein verehrungswürdiger, aber umso mehr ein liebenswerter
KÖNIG VON DEUTSCHLAND, dem wir noch gerne länger zugehört
hätten.