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Dotan und Ja'ir sind die besten Freunde. Als Ja'ir ihn vor der Schule
zum Jogging abholen will, läßt sich Dotan jedoch entschuldigen.
Angeblich hat er 38,7°C Fieber. In Wirklichkeit ist es Dotans Angst,
in der Mathearbeit zu versagen - eine Ausrede, die ihm noch schwer zu schaffen
machen wird. Ja'ir läuft alleine los und nur wenig später hört
Dotan die Polizeisirenen. Erst beruhigt er sich damit, daß Polizeisirenen
an einer 'Nahtstelle' nichts Ungewöhnliches sind. 'Nahtstellen'
sind jene israelischen Stadtteile in Jerusalem, die an arabische grenzen.
Dann ruft Dotans Freundin aus der Schule an, und teilt ihm mit, daß
Ja'ir von einem Araber erstochen worden ist.
Neben den Selbstvorwürfen, nicht bei Ja'ir gewesen zu sein, stellt
sich Dotan die Frage, wie er mit seiner Trauer um den Tod seines besten
Freundes umgehen soll. Was hätte Ja'ir getan, wenn Dotan umgebracht
worden wäre? Die Aufforderung eines radikalen Studenten scheint die
richtige Antwort darauf zu sein. Erst demonstrieren mit Rufen wie: "Tod
den arabischen Mördern" und "Rabin, nach Hause!" und dann
auf ins Viertel, aus dem der mutmaßliche Mörder stammt. Dotan
wird verhaftet, obwohl er nur mitgelaufen ist ohne sich an den Ausschreitungen
zu beteiligen. Irgendetwas hatte ihn gehemmt. Dennoch wehrt er sich nicht
gegen den Vorwurf, er hätte einer alten arabischen Frau etwas angetan.
Dabei hat er sie sogar geschützt und ihr wieder auf die Beine geholfen.
Mit "Die Tage nach dem Anschlag" ist Galila Ron-Feder ein außergewöhnliches
Mutmachbuch gelungen. Selbst Jugendliche, die beim Übergang zum Erwachsenwerden
in Gefahr sind, ihre Unausgegorenheit mit atavistischen Ehrbegriffen zu
füllen, dürften davon angesprochen werden. Der Reflex, auf Gewalt
mit Gegengewalt zu reagieren, wird hier nicht zugekleistert, sondern entfaltet
und sogar bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar begründet. In
Israel, insbesondere in Jerusalem geht es nicht um spielerische Revierabgrenzungen,
sondern um reale Todesängste. Da wird die Hinnahme von Gewalt sehr
schnell als Schwäche ausgelegt - ein Argument, auf dem nicht zuletzt
die Extremisten beider Seiten reiten. Doch die Autorin wendet dieses Argument,
in dem sie ihre "Helden" alles andere als "Verlierertypen"
sein läßt. So zählt Dotan zu den besten Sportlern und Schülern
seiner Klasse und hat sich schon vor dem tragischen Ereignis nicht die
Butter vom Brot nehmen lassen. Und dann sind es nicht belehrende Antworten
auf die vielen Fragen und Zweifel, sondern das Verständnis einer Frau,
die Dotan einen Ausweg erlauben. Diese Frau ist alt und hat als Jugendliche
den Holocaust, die Flucht nach "Erez-Israel" und das Internierungslager
auf Zypern überlebt.
Neben dem Aufzeigen eines solchen Konfliktes sind es nicht zuletzt
auch die beiläufigen Schilderungen des heutigen Israels, die deutlich
machen, daß Geschichte stets im Wandel ist und von daher immer wieder
neue Chancen bietet. Hervorragend einschließlich der Zwischentöne
von Mirjam Pressler übersetzt, ist dieser Roman fesselnd von der ersten
bis zur letzten Seite.