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Friedrich Rothe

Karl Kraus

Biographie. Piper Verlag, München 2003. 423 Seiten. 24,90 Euro. ISBN: 3-492-04173-6, >>> Amazon
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Immer noch und immer wieder werden Bonmots von Karl Kraus zitiert. Das wohl bekannteste "Mir fällt zu Hitler nichts ein" überschreibt das Schweigen des Fackel-Herausgebers nach 1933, das laut Friedrich Rothe heute mehr fasziniert als die Schriften, die Kraus in jener Zeit verfasst hat.
Friedrich Rothe hat sich bei seiner Biographie über Karl Kraus für eine weniger chronologische als vielmehr thematische Gliederung entschieden. So beginnt er auch gleich mit der Erörterung der Hintergründe für das bereits angeführte Zitat, das nicht allein den Zeitgenossen von Kraus zumeist in den falschen Hals geraten ist. Nicht von ungefähr, tritt doch der Sohn aus gutem Hause und seinem Stolz auf eine eher konservativ angehauchte Unparteilichkeit in jener Zeit auch plötzlich sehr vehement für den Kommunismus ein - wenn auch nicht so sehr, wie es spätere Realsozialisten gern gehabt hätten. Im nachfolgenden Kapitel wird unter "Der Wiener Satiriker und die deutsche Hauptstadt" dann auch die Kindheit und Jugend vorgestellt. Karl Kraus hat bereits erstaunlich früh den Kontakt zu den Kaffeehausliteraten Wiens gesucht, um diese dann umso heftiger gegen die Szene Berlins eintauschen zu wollen - allerdings nur mit bedingtem Erfolg. Ein besonders delikates Kapitel fragt: "Ein 'jüdischer Antisemit'?" Rothe arbeitet das sehr präzis heraus - vor allem auch den Unsinn, der aus dieser Formel im Zusammenhang mit Karl Kraus abgeleitet wurde.
"Der 'moralische Niedergang' der Fackel" wird sehr vieldeutig mit den eher glücklosen Liebesbeziehungen von Karl Kraus in Korrespondenz gebracht, "Dreimal Berlin & retour: Kraus, Loos und Kokoschka" stellt den wechselhaften Werdegang dieser engen Freundschaften vor und "Der Vorleser und sein Publikum" setzt der eigentlichen Freude von Karl Kraus ein Denkmal, nämlich seine Kunst der Nachahmung und, daraus abgeleitet, ganz allgemein die des Vortrags z.B. kompletter Theaterstücke - was sich wiederum im Genius des Essayisten spiegelt. Am Ende heißt es "Mitstreiter und Erben: Loos, Schönberg, Wittgenstein und die 'Frankfurter Schule'". Letztere, vor allem dank dem Freund und Bewunderer Theodor W. Adorno, sieht sich durch die unbestechliche, äußerst wortbedachte Weltsicht von Karl Kraus angestoßen und inspiriert, der so vieles bereits vorausgedacht und vorformuliert hat.
Diese Biographie ist aller Ehren wert, auch wenn sie trotz ihrer eingängigen Sprachregelung durch die thematische Anordnung für den auf chronologische Zusammenhänge bedachten zuweilen etwas sprunghaft wirkt. Aber ein rein chronologisches Aufzählen hätte sich der Möglichkeit des Fokussierens beraubt, die hier sehr wirksam zum Tragen kommt und bei diesem Quer- und "Selbstdenker" wohl auch dringend vonnöten war. Unterm Strich ist Friedrich Rothe eine so instruktive wie überzeugende Biographie gelungen, die durchaus auch eine fesselnde Erstbegegnung mit dem Leben und Werk von Karl Kraus zulässt.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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