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Wer von Salman Rushdie zwar schon oft gehört, aber noch nie etwas
gelesen hat, sollte es jetzt mit seinem Erzählband "OSTEN, WESTEN"
versuchen.
Das erste Kapitel ist überschrieben mit OSTEN, und entführt
uns nach Indien. "Guter Rat ist kostbarer als Rubine" erzählt
von Miss Rehana, die sich um ein Visum nach England bemüht und dabei
an den Beratungsexperten Muhamma Ali gerät. "Das kostenlose Radio"
ist eine zartbittere Parabel von der Vermischung der Magie des Wunschdenkens
mit der unerbittlich westlich determinierten Realität. "Das Haar
des Propheten" erinnert formal an Tausendundeine Nacht, wird aber mit
seinen aktuellen Bezügen zur beißenden Satire.
Danach geht es eine Steilklippe abwärts in den WESTEN. In "Yorick"
wird Shakespeare gegen den Strich erzählt. "Auf der Versteigerung
der roten Schuhe" führt Rushdie den westlichen Konsumismus ad
absurdum und in "Christoph Kolumbus und Königin Isabella von Spanien
erfüllen ihre gemeinsame Bestimmung" führt er einmal mehr
die Abhängigkeiten von Herrschern und Beherrschten mit unabsehbaren
Folgen für die Nachwelt vor.
Das dritte Kapitel OSTEN, WESTEN betont in seinen drei Geschichten
die Synthese dieser beiden Lebensansichten. So löst sich z.B. "Die
Harmonie der Sphären" als Dreiecksgeschichte auf, die insbesondere
die Blockaden der Wahrnehmung vorführt. "Wer weiß, was Menschen
zu Freunden macht? Irgend etwas an der Art, wie sie sich bewegen. An der
Art, wie sie falsch singen." Vor der Volte äußert der Ich-Erzähler
programmatisch für das ganze Buch: "... hoffte ich ein 'verbotenes
Ich' schaffen zu können. Die wahrnehmbare Welt, nur noch Zynismus
und Napalm, schien ganz und gar ohne Güte und Weisheit zu sein. Das
verborgene Reich jedoch, in dem Sufis mit Adepten lustwandelten und große
Geheimnisse erahnt werden konnten, würde mich lehren, weise zu sein.
Es würde mir (..) Harmonie schenken."
Salman Rushdie erweist sich in all seinen Erzählungen als ein
Virtuose, der seinen Charakteren in jeder Form mal ätzend ironisch,
mal anrührend komisch gerecht zu werden vermag. Ein kosmopolitisches
Buch, das höchst unterhaltsam das Wunderbare hinter dem Tellerrand
nationaler und anderer Beschränktheiten erahnen läßt.
Eine Reportage und weitere Besprechungen zu Werken von Salman Rushdie siehe:
Büchernachlese-Extra: Salman Rushdie