buechernachlese.de
|
Aristoteles, kurz Ari genannt, und Dante lernen sich im Schwimmbad kennen. Genauer gesagt: Dante spricht den sich ohne große Ambitionen im Nichtschwimmerbecken aalenden Ari einfach an und fragt ihn, ob er ihm das Schwimmen beibringen solle. Eigentlich war Ari bis dahin weit lieber mit sich allein, aber Dante weiß sehr schnell das Eis zwischen ihnen zu brechen - und so lernt Ari von und mit Dante alsbald weit mehr als das Schwimmen …
"Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums" ist ein bereits mehrfach ausgezeichneter Roman von Benjamin Alire Sáenz, der aus der Perspektive Aris das Wachsen einer Freundschaft zweier Jugendlicher gegen Ende der 1980er nachzeichnet. Ihre Eltern gehen akademischen Berufen nach, und auch wenn die beiden 15-jährigen keine Stars in der Schule sind, sind sie auch keine "Looser".
Doch während Dante sehr wortgewandt und selbstbewusst seine Ziele in Angriff nimmt und neben dem Schwimmen auch Poesie und Kunst liebt, ist Ari weit gehemmter. Wie sein Vater, der nicht über seine Kriegserlebnisse in Vietnam sprechen will, schweigt sich Ari über alles aus, was ihn bedrückt - und so wagt er seine Eltern auch nicht zu fragen, weshalb sein weit älterer Bruder im Gefängnis einsitzt und sie ihn kein einziges Mal besuchen oder auch nur über ihn sprechen wollen. Dabei hat Ari noch viel mehr Fragen. Zum Beispiel auch die, wie er selbst zur Gewalt gegen andere steht und ob er darin seinem Bruder womöglich ähnlich ist.
Einige seiner Gedanken und Träume kann er mit Dante teilen, und Dante lenkt seinen Blick auf Bücher, die ihn zu verstehen scheinen. Zudem lachen sie viel gemeinsam. Dass das Universum ein großer und komplizierter Ort ist, an dem manchmal auch erhebliche Hindernisse überwunden werden müssen, ist beiden längst klar. Aber es voreinander auszusprechen und sich gegenseitig ihrer Zuneigung und Loyalität versichern zu können, ist etwas Neues. Und obwohl Ari nichts damit anzufangen weiß, hält er auch dann weiterhin an Dante fest, nachdem dieser sich ihn verliebt hat.
Benjamin Alire Sáenz benötigt für seine Geschichte von Aristoteles und Dante keine High-Noon-Dramaturgie samt sattsam bekannter Klischees, um Leser zu fesseln. Seine "Helden" sind beide intelligent, ihre Eltern sehr bemüht und alles andere als borniert.
"Märchenhaft" ist jedoch allein die zeitliche Verortung, denn so viel Toleranz war in den 1980ern weit weniger selbstverständlich als heute - und selbst heute ist Intoleranz ja keinesfalls ein ausgestorbenes Phänomen. Somit spielt dieser Roman ein Was-wäre-wenn unter positiven Vorzeichen durch, was dennoch genügend Hürden übrig lässt, die keineswegs einfach zu überspringen sind. So bleibt auch das Happy End am Ende eines etwa zweijährigen Handlungsstrangs eine Momentaufnahme, die rückblickend ja bereits eine Menge Zukunft offen lässt. Den Protagonisten wird Zeit gelassen, Erkenntnisse zu gewinnen und sie nach ihren Eigenarten ohne eingreifenden deus ex machina zu verdauen.
Insgesamt bemerkenswert ist die auch in der Übersetzung von Brigitte Jakobeit "swingende" Prosa des Autors, die zwischen trockenem Humor und Sinn für Situationskomik einige wohldosierte Szenen sehr anrührend zuzuspitzen versteht. Ein Buch also, das allen jugendlichen Lesern sehr zu empfehlen ist, die sich in ihrer eigenen Haut noch nicht wohl zu fühlen gelernt haben und sich dabei dennoch und gerade auch an den "großen" Fragen des Universums reiben, darunter die Frage nach der sexuellen Orientierung. Diese stellt sich erst nach und nach auch für Ari selbst und wird sehr unprätentiös und für viele Jugendliche umso glaubwürdiger angegangen.
Bleibt lediglich die Frage offen, welchen Preis dieser Roman nun auch noch im deutschen Sprachraum erhalten wird …