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Also ehrlich gesagt, Reisebeschreibungen waren bisher nicht mein Fall.
Was aber, wenn den beschriebenen Reisezielen weniger Geschichte denn Geschichten
anhaften?
Die "Literarischen Erkundungen rund um das Schwäbische Meer"
von Doris und Dieter Schiller sind nun zwar überarbeitet, die Texte
insgesamt gestrafft und um einige jüngere zeitgenössische Autoren
ergänzt worden, dennoch vermittelt dieses Buch nicht mehr als den
heimatkundlichen Stolz, daß hehre Geister wie "die" Droste,
Eduard Mörike und Notker der Stammler dereinst ihre Zelte, Häuser
oder Schlösser am Bodensee aufgeschlagen und das Umfeld des Gewässers
in ihren Werken erwähnt haben. Und wenn darin ein Ernst Jünger
zum Beinahe-Widerständler erklärt wird, ist mir das wieder zuwenig
Heimatkunde.
Aber der Verlag hat diese Scharte nun ausgewetzt.
"Badeleben" heißt der "Literarische Reisebegleiter von Wismar
bis Danzig", den Jutta Stössinger unter Mitarbeit von Heiner Maier
verfaßt hat.
Ihre Autorenliste nimmt sich wie das Who's Who nationaler
und internationaler Größen dieses Jahrhunderts aus: Alfred Andersch,
Hans Fallada, Maxim Gorki, Günter Grass, Ricarda Huch, Franz Kafka
bishin zu Christa Wolf und Carl Zuckmayer sahen sich in ihren Notizen oder
Anmerkungen weniger als mit Ehrfurcht zu behandelnde Ikonen, denn als von
den Zeitläuften bewegte Zeugen, die sich der trügerischen Ruhe
am Ostseestrand niemals wirklich sicher waren - Gerhart Hauptmann und der
eifersüchtige Thomas Mann einmal vielleicht ausgenommen.
All diese
Zeugenschaften korrespondieren nun mit den erfrischend subjektiven, weil
im Grunde unvoreingenommenen Eindrücken von Jutta Stössinger,
die dann auch schon einmal erst vor Ort erfährt, daß Alfred
Anderschs Schilderungen von Rerik in seinem "Sansibar" nur sehr wenig mit
dem gleichnamigen Ort an der Ostsee zu tun hat. Und selbst dieser Irrtum
wird bei ihr zu einem Erlebnis, das man gerne nachvollzieht, erinnert es
doch frappant an das eigene Erwachen nach dem Zuklappen eines fesselnden
Buches. Zudem läßt sie auch die jeweils dort lebenden Menschen
zu Wort kommen, seien es nun Rentner oder solche, die demnächst einem
Forschungsauftrag in den USA nachgehen.
So gelangen ihr wunderbare Momentaufnahmen
aus dem Jahre fünf nach der Wende Deutschlands und Polens, die der
gegenwärtigen Ambivalenz von Verfall und Erneuerung keineswegs weinerlich
Tribut zollen. Nicht zuletzt auch dank ihrer eigenen einfühlsamen
und variationsreichen Sprache dürfte dieses Buch vom häufigen
Gebrauch bald von Eselsohren gezeichnet sein. Und man bekommt nach dieser
Lektüre Lust:
Lust, diese Strände möglichst noch dieses
Jahr aufzusuchen, bevor sie im alleuropäiischenn Fußgängerzonenlook
neu auferstehen und Lust, den einen oder anderen Autoren noch einmal nachzulesen
oder neu zu entdecken.