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Ein Ich-Erzähler fährt nach Frankfurt a. M., um die Begräbnisformalitäten
zu regeln, aber da gibt es unerwartete Probleme. Seine verstorbene Mutter
ist Jüdin, die den Faschismus nur dank ihres schon vor Jahren verstorbenen
Mannes überlebt hatte. Ihr Mann war Christ und hatte ihr auch im III.
Reich die Treue gehalten. Nun aber kann und will der Rabbiner die Mutter
nicht neben ihrem Mann bestatten. Eine Groteske wie sie das Leben schreibt,
bildet nun den Rahmen für zartbitter (selbst-)ironische Anfragen an
Religiösität und Herkunft und für eine Auseinandersetzung
mit deutscher Geschichte, die von Auschwitz bis ins heutige Israel reicht.
"Mama wollte schweigen wie ein Grab, nein, sie war ja ein Grab.
Ihre Toten konnte sie nicht begraben, und so trug sie ihre Gräber
mit sich."
Der nach der Shoa geborene Autor Lothar Schöne findet jedoch neben
solchen Metaphern auch andere Bilder, die den Kanon jüdisch-deutscher
Geschichts- und Geschichtenschreibung überraschend erweitern.
"So nähern sich Judentum und Christentum nach zwei Jahrtausenden
einander an. Wie das Christentum mit dem ans Kreuz geschlagenen Jesus einen
Opfertod ins Zentrum seines Kultes stellte, so rückt das Judentum
nun den Versuch seiner Vernichtung in den Mittelpunkt seines Denkens. Die
Unheilsgeschichte wird im Museum bewahrt und als Schrein verehrt."
Kaum auszudenken, wie das orthodoxe oder gar ultra-orthodoxe Judentum
zu solchen und anderen Aussagen steht. Der Autor aber durchbricht in seiner
Verzweiflung ein Tabu nach dem anderen, und beleuchtet in seiner Bitterkeit
bisher ungeahnte Möglichkeiten der Verständigung. Neben all den
religiösen und geschichtlichen Aspekten geht es hierbei um nicht weniger,
als um die Abnabelung von Zwängen, denen man sich nur freiwillig oder
gar nicht unterwirft. Aber welche Wahl hatten und haben die Shoah-Nachgeborenen?
Lothar Schöne erzählt davon.