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Am 15.März 1993 verbrannte ein berüchtigter Neonazi-Anführer
vor laufender Fernsehkamera ein Adolf-Hitler-Bild. Ingo Haßelbachs
medienwirksamer Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene sorgte nicht zuletzt
bei seinen früheren Parteigenossen für enormen Aufruhr. Er wurde
auf ihre Abschußliste gesetzt. Seitdem lebt Ingo Haßelbach
im Untergrund und hat über seine Erfahrungen ein Buch geschrieben.
"Die Medien reißen sich schon wieder um ihn, wie noch vor
zwei Jahren - jetzt aus anderen Gründen" heißt es nun in
einem Buch über Ingo Haßelbach, und es endet: ".. er weiß
noch nicht genau, wo er sich politisch einordnen soll, muß über
manche Dinge einfach in Ruhe nachdenken. "Ich arbeite an mir", sagt Ingo
Haßelbach."
Der Journalist Burkhard Schröder veröffentlicht seit geraumer
Zeit Artikel und Bücher über die rechts-extremistische Szene.
Bei seinen Recherchen hatte er Ingo Haßelbach noch als aktiven Neonazi
erlebt und sein Vertrauen gewinnen können. Einige Wochen nach seinem
Ausstieg rief Ingo Haßelbach Schröder aus Paris an. Ob er sich
mit ihm treffen und sich von ihm einmal "alles" erzählen lassen
wolle. Trotz einiger Bedenken, sagte Schröder zu. Erst wenige Tage
zuvor hatte eine Frau so getan, als ob sie ausgestiegen wäre, dabei
war es ihr nur um das Sammeln von "Feind"- Addressen gegangen. Ingo
Haßelbach jedoch meinte es ernst. Dank seiner unvoreingenommenen
Fragehaltung gelingt Schröder eine unaufgeregte, höchst instruktive
Darstellung des Lebensweges von Ingo Haßelbach. Zugleich vermochte
Schröder sein bereits zuvor erworbenes Insiderwissen nun von authentischer
Stelle kommentieren zu lassen. Das gilt natürlich auch umgekehrt für
Haßelbachs Aussagen über die Szene. Manche der lediglich auf
das Vordergründige bedachten Schnellschreiber und auch gewisse Politiker
sollten beim Nach-Lesen dieser Lektüre zumindest rote Ohren bekommen.
Für viele neu dürften die von Frager und Befragten gemeinsam
angestellten Betrachtungen über die speziellen Motive ostdeutscher
Neonazis sein. Haßelbachs Familie z.B. genoß in der DDR hohes
Ansehen. Er hätte sich recht bequem etablieren können, anstatt
sich bereits lange vor der Wende von der "Gesell-schaft" zu verabschieden.
Das steht im vollkommenen Widerspruch zu dem durchschnittlichen Werdegang
eines West-Neonazis. Allgemeingültig wiederum dagegen, wie der Autor
en passent u.a. solch schmuddeliges Propagandamaterial wie den berüchtigten
"Leuchter-Report" auseinandernimmt und einmal mehr den Irrwitz am
angeblichen Beweis für die "Auschwitz-Lüge" belegt.
Erschienen unter dem Titel ICH WAR EIN NEONAZI kann Schröders
Reportage den Anspruch erheben, ein wichtiges Zeitzeugnis zu sein. Es vermag
bereits jetzt Jugendlichen, Eltern und Lehrern wichtige Impulse zu manch
verschüttetem Dialog zu eröffnen. Sprachlich jedoch setzt das
Buch nicht zuletzt wegen seines ungefilterten Gebrauchs von Jargon-und
Fremdwörtern einiges voraus. Allein- und SelberleserInnen sollten
deshalb nicht jünger als 16 Jahre alt sein.