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Sooft eine Nachricht in Rundfunk oder Fernsehen ein Gegen-den-Strom-schwimmen
bezeugte und es dabei um die Trias Kirche, Feminismus und die Theologie
der Befreiung ging, wurde meist ihr Name inklusive einer bündigen
Stellungnahme mitgenannt: Dorothee Sölle. "Die" Sölle
hat jetzt ihre autobiographischen Erinnerungen veröffentlicht. Nicht
termingerecht zum 65., sondern erst zu ihrem 66. Geburtstag. Und eigentlich
wollte sie ja gar nicht. "Ich bin doch kein abgehalfterter Politiker,
hab' was Besseres zu tun!" Gut, daß ihr Lektor nicht locker gelassen
hat, denn hinter D. Sölle steckt ein Menschenleben, das nicht nur
spannend nachzulesen ist, sondern auch ein Christ(lich)-Sein, das wieder
Hoffnung auf Kirche machen kann ...
Darüberhinaus kann die passionierte
Poetin ausdrucksstark schreiben und mitreißend erzählen.
So
muß sie sich als 16-jährige im November 1945 in ihrem Tagebuch
eingestehen, "naziverseucht" zu sein. Sie hatte erst jetzt erfahren,
das ihr Vater ein "Vierteljude" war und kämpfte gegen den nicht
zu unterdrückenden Gedanken, im "Nichtarischen das Unreine, Mindere"
zu sehen. Auf die Teilhabe am Judentum stolz zu sein, lernte die sich früh
mit dem Intellekt auseinandersetzende Autorin erst später.
Nach dem
Studium der Existenzphilosophien u.a. eines Heideggers, läßt
sie sich durch die Lektüre Kierkegaards zur "Religion verführen".
Sie studierte Klassische Philologie, Germanistik, Philosophie in Köln
und Freiburg, dann Theologie und Literaturwissenschaft in Göttingen.
Wichtige Lehrer waren ihr dabei u.a. Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann,
dem sie ein eigenes Kapitel gewidmet hat.
1968 beginnt sie als Studienrätin
im Hochschuldienst gemeinsam mit anderen die "politischen Nachtgebete".
Dabei erwirbt sie u.a. die Unterstützung und spätere Freundschaft
mit Heinrich Böll. Trotz aller Blessuren und Nicht-Anerkennungen z.B.
seitens der "ordentlichen" Professorenschaft kann sie auch noch
auf den letzten Seiten ihres Buches schreiben, "daß die Mißbrauchsgeschichte
die Gebrauchsgeschichte nicht ersetzen kann." Das bezieht Dorothee
Sölle auf ihren Glauben an das Christentum, aber auch auf den Sozialismus,
denn: "Es muß einen dritten Weg geben. Für mich ist einfach
undenkbar, mich auf diese simple Spaltlogik einzulassen: Kapitalismus oder
Stalinismus."
Zu anderen für sie zentrale Themen hat sie
sich lieber im Gedicht geäußert, denn "Prosa bringt das Leben
schon genug mit sich."
Ein fesselndes, im besten Sinne aufregendes Buch einer überzeugenden
Christin.