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Anläßlich des 100. Geburtstages von Gabriele Tergit legt
der Suhrkamp Taschenbuchverlag eine Auswahl ihrer Berliner Reportagen vor.
Gabriele Tergit war eine Kollegin Kurt Tucholskys und hat bis zu ihrer
Emigration 1933 u.a. für DIE WELTBÜHNE und DAS BERLINER TAGEBLATT
Feuilletons, Gerichtsreportagen und einen Roman (Käsebier erobert
den Kurfürstendamm) verfaßt. In ihnen ist das Banale und Alltägliche
der Zwanziger gebannt, in manchem ganz ähnlich wie bei Tucholsky,
dann aber doch wieder ganz anders. Auch ihr sind die Rechtsverschiebungen
zugunsten erster Nazitäter nicht entgangen, sodaß sie nach der
Machtergreifung Hitlers wegen ihrer deutlichen Worte zu den ersten gehörte,
deren Wohnung von den Nazischergen überfallen wurde. Aber sie vertrat
ihren Standpunkt aus der Sicht einer selbstbewußten Frau, die u.a.
die Neben-und Begleitrolle damaliger Frauen nicht mit der männlichen
Attitüde der Selbstvollkommenheit sondern in bissig wütender
Betroffenheit kommentierte. So wird auch der umgekehrte Fall, wenn frau
finanziell für sich selbst zu sorgen wußte, von ihr geschildert:
Sie ging das Risiko ein, ungewollt "alleinstehend" zu bleiben.
Zwei Kapitel, darunter einige Erzählungen, entstammen dem Nachlaß
und waren bis dato unveröffentlicht. Auch wenn der Herausgeber in
seinem Nachwort Gabriele Tergits sehr liebevoll gedenkt, muß doch
auf ein Manko dieses Buches hingewiesen werden. Die sechs Kapitel sind
zwar thematisch geordnet, aber zur besseren Orientierung hätte den
einzelnen Beiträgen, die zwischen 1920 und 1950 verfaßt wurden,
auch die Angabe des Entstehungs- bzw. Abdruckjahres gut angestanden. Die
Brisanz einiger Artikel und die grenzenauslotende Courage der Autorin wäre
so um einiges besser zu würdigen gewesen.