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Carl F. Hostetter gilt als einer der führenden Tolkien-Experten weltweit und ist Vorsitzender der "Elvish Linguistic Fellowship". Zugleich ist er einer der autorisierten Herausgeber von Texten zu "erfundenen Sprachen und Schriften" aus dem Nachlass von J.R.R. Tolkien. In dieser Eigenschaft hat ihm Tolkiens Sohn Christopher 1997 ein Konvolut aus Fotokopien verschiedener hand- und maschinengeschriebener "Materialien" bzw. "späte philologische Schriften" seines Vaters überreicht. Ergänzt um Tolkiens Arbeiten zu seinen erfundenen Sprachen und jenem Material, das Hostetter im Lauf der Jahre in den beiden Hauptarchiven für Tolkien-Manuskripte zusammengetragen hat, bildete es den Grundstock, anhand dessen er dann unter Mithilfe zahlreicher anderer Archivare, Bibliothekare usw. usf. bis zur Herausgabe des vorliegenden, 2021 erschienenen Buches gearbeitet hat.
Den drei Teilen "Zeit und Altern", "Körper, Verstand und Geist" und "Die Welt und ihre Länder und Bewohner" sind auf den Seiten 11 bis 29 ein Vorwort sowie eine Vorbemerkung von Hostetter als Herausgeber, eine Anmerkung der Übersetzer und ein Kapitel mit "Abkürzungen und Schreibweisen" vorangestellt.
Akribisch genau werden hier editorische Arbeits- und Herangehensweisen von Herausgeber und Übersetzer vorgestellt, u.a. zu Entscheidungen bzw. Abgrenzungen bezüglich englischer Begriffe wie "mind" und "spirit" und wie sie jeweils im Tolkienschen Sinne gemeint sein könnten.
Den Abschluss für dieses Werkes bilden Anhänge, die auf den Seiten 643 bis 668 als Exzerpte "Metaphysische und theologische Themen" sowie ein "Glossar und Register der Quenya-Begriffe" enthalten. Dem schließen sich dann ab Seite 669 noch ein Literaturverzeichnis und ab 673 bis 720 ein Register an.
Spätestens an dieser Stelle sei auch der Hinweis des Herausgebers platziert, wonach der Herausgeber eine "Vertrautheit mit Tolkiens Hauptwerken über Mittelerde, insbesondere Der Herr der Ringe und Das Simarillion, und zumindest das Interesse an Nachrichten aus Mittelerde" zum Verständnis des vorliegenden Werkes voraussetzt. Darüber hinaus wäre auch eine Kenntnis der Bände Morgoth's Ring und The War of the Jewels "auf jeden Fall von Vorteil". Diese beiden Hinweise dürften allerdings zu den Untertreibungen des Literaturherbstes zählen …
So wurde nicht von ungefähr weiter oben das Wort "Materialien" in Anführungszeichen gesetzt! Denn ganz eigentlich bildet "Natur und Wesen von Mittelerde - Späte Schriften zu den Ländern, Völkern und Geschöpfen und zur Metaphysik von Mittelerde" eine fein säuberlich sortierte Materialsammlung, die Literaturwissenschaftlern bei der Erschließung von Tolkiens Überlegungen zur Grundierung seiner Veröffentlichungen dienen kann. Aber damit selbst die hartgesottensten Fans von Tolkiens Prosa, die sich womöglich sogar an Schrift und Sprache der Quenya versuchen, hieraus Gewinn ziehen könnten, müsste diese Materialsammlung so entschieden wie mutig auf das Wesentliche gekürzt und in Form gebracht werden.
Allein auf den ersten 200 bis 300 Seiten reihen sich jeweils mit X Fußnoten versehene Texte und Tabellen aneinander, die sich nicht selten redundant an der Zählweise bzw. dem Unterschied der Jahreszählungen von Elfen und Menschen abarbeiten. Dazwischen finden sich dann zwar durchaus so interessante wie essentielle (aber sich ebenfalls wiederholende) Einschübe u.a. zur Art und Weise eines langen Elfenlebens und wie es schließlich ins "Geistige" vergeht oder das und warum Tolkien selbst seinen Herrn der Ringe als "ein fundamental katholisches Werk" ansieht. Um jedoch, wie es der Klappentext verspricht, auch ein größeres Verständnis für "manch einzelne Geschichten" aus dem Herrn der Ringe, dem Simarillion und Nachrichten aus Mittelerde ziehen zu können, müsste dieser Mehrwert nicht unter den hier aufgehäuften Schichten redlicher Fleißarbeit versteckt bzw. verstreut sein, die Tolkiens kleinste Verschiebungen im Denken und Ausformulieren zu dokumentieren suchten.
In diesem Sinne bildet "Natur und Wesen von Mittelerde" zwar ein gewiss sehr ansehnlich samt Lesebändchen ausgestattetes Werk für entsprechend ausgebildete und motivierte Literaturwissenschaftler - bliebe nur noch abzuwarten, wer von ihnen daraus auch für uns Normalsterbliche eine beglückende Lektüre zu extrahieren vermag …
Weitere Besprechungen zu Werken von J.R.R. Tolkien siehe:
Büchernachlese-Extra: J.R.R. Tolkien