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Noch kennen sie sich nicht, aber schon bald werden sie gemeinsam ein fantastisches Abenteuer erleben - und zum Glück auch lebend überstehen.
Portia aus London soll zwei Wochen ihrer Sommerferien in Wales, genauer gesagt, in dem kleinen Ort Trefriw (gesprochen: Tre-früh) bei ihrer Großtante Rose und deren Lebenspartnerin Bramble verbringen. Im Nachbarort lernt Portia den etwa gleichaltrigen Ben kennen, dessen Mutter eine Buchhandlung betreibt. Ben ist ein Bücherwurm und zudem sehr schüchtern, dennoch lässt er sich von seiner Mutter dazu überreden, Portia einen Steinkreis zu zeigen. Doch dann kommt alles anders, als gedacht. Denn Ben vertrödelt die verabredete Zeit, und Portia wartet nicht auf ihn, sondern verfolgt mit einem Schlüssel aus Brambles Schreibtisch einen Fuchs bis zu einer Brombeerhecke, in der sich eine geheimnisvolle Tür verbirgt …
Kathrin Tordasi legt mit "Brombeerfuchs - Das Geheimnis von Weltende" ein im buchstäblichen Sinn bezauberndes Romandebüt für Kinder ab zehn Jahren vor!
Die Autorin hat in Wales studiert und ist als promovierte Dozentin für Englische Kulturwissenschaft und Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. In dem von ihr geliebten Wales lässt sie neben den beiden Kindern auch einige Figuren aus Shakespeares Sommernachtstraum auftreten, die ja eigentlich der britischen Sagenwelt entstammen. Und so geht es Tordasi auch nicht um das berühmte Theaterstück, als vielmehr um die Welten der Menschen und des hinter dem Brombeerbusch angrenzenden Feenreichs, das von Titania als keineswegs durchgängig freundlicher Königin der Feen beherrscht wird. Und der Fuchs ist niemand anders als der wandlungsfähige Robin Goodfellow, der hier eine sehr schillernde Rolle spielt.
Ein ehernes Gesetz lautet, niemals durch die Tore zwischen den beiden Welten zu gehen, ohne sie gleich hinter sich wieder zu schließen. Als es einmal vergessen wurde, drang der Graue König aus der Unterwelt zusammen mit seinem Jagdherrn in die Welten und drohte Feen wie Menschen mit seinem alles Vergessen machenden, tödlichen Nebel dem Untergang zu weihen. Nur knapp konnten damals der Graue König zurückgedrängt und die Tore wieder verschlossen werden. Mit der Folge, dass Robin Goodfellow über Jahrzehnte bei den Menschen bleiben musste. Doch der Fuchs wusste genau, wo sich noch ein Schlüssel befindet und verführte die ahnungslose Portia dazu, ihm den Weg zurück ins Feenreich zu bahnen. Dass sie gar nicht daran dachte, hinter sich die Tür zu schließen, war Robin Goodfellow in seiner Wut nur recht …
Tordasi erzählt ihre Geschichte ohne Brüche und Längen mit einer bewundernswert eingängigen Leichtigkeit, die von der ersten Seite an mitzureißen vermag. Und sie bringt derart geschickt ganz "normale" Probleme von zwei 12-jährigen aus der Gegenwart mit der britischen Sagenwelt in Verbindung, dass die Übergänge von der Realität ins Fantastische sehr überzeugend ins Fließen geraten. Nun gut, Portia und Ben tragen als neugierige und mit dem Lesen sehr vertraute Kinder bereits wesentliche Elemente einer solchen Verbindung in sich - aber gerade sie sind es auch, die "Unmöglich!" sagen, als sie zu Anfang mit der Feenwelt konfrontiert werden. Und da geht es beinhart zu! Durchaus vergleichbar mit dem, was Portia bereits an Last mit ihrer depressiven Mutter und Ben mit seinem schon früh verstorbenen Vater zu ertragen hatten und haben.
Alle Charaktere, und das sind neben den bereits angesprochenen Figuren noch viele andere mehr, sind von der Autorin so treffend präzise wie liebevoll ausgestaltet und beschrieben, dass es keiner Illustrationen bedarf, sie sich vorzustellen. Dabei sind das Helle und das Dunkle hier nicht so einfach mit dem Guten und Bösen gleichzusetzen, sondern Tordasi zeigt in dem Kampf der Gegensätze auch zahlreiche Zwischentöne auf, die zum Nachdenken einladen.
Die Geschichte ist in sich abgeschlossen - ähnlich wie "Der kleine Hobbit" von J.R.R. Tolkien. Ihr ohne weiteren Überbau wie im "Herrn der Ringe" weitere Folgen anzuheften, hieße "Brombeerfuchs - Das Geheimnis von Weltende" zu verwässern. Damit kann und soll (noch) keine Gleichsetzung mit Tolkiens Werken und deren Wirkung gemeint sein, aber doch so viel, dass sich Kathrin Tordasi mit ihrem sich an 10 bis 14-jährige richtenden Romandebüt zumindest in die gleiche Liga von Cornelia Funke oder Kirsten Boie geschrieben hat.
Eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis sollte dem Buch gewiss sein, gewünscht seien ihm jedenfalls viele, viele Leser und Leserinnen!