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"Der Vater hatte auf einer Hausgeburt bestanden, da er das Geschäft
nicht schließen und auch keine umständlichen Krankenhausbesuche
machen wollte."
Mit solchen authentischen Begründungszusammenhängen vermittelt
uns Hans-Ulrich Treichel "HEIMATKUNDE oder ALLES IST HEITER UND EDEL".
Die ersten fünf seiner Dutzend "Besichtigungen" führen
einem den Ort und die Hauptpersonen seiner Kindheit vor Augen. Ein sterbenslangweiliges
Kaff in Westfalen, das weder Flüsse und Wälder noch Marktplätze
und Kirchen, weder Burgen und Gebirge noch Gassen und Winkel aufweist,
obwohl das doch für Westfalen typisch sein soll. Das lenkt das Augenmerk
auf weniger Erhabenes, z.B. auf den armamputierten und Zigaretten handelnden
Vater, der sich in einem Gespräch mit einem "Negerpastor" versucht
hat oder auf die Kunden, die dem Vater auf fatale Art und Weise bis zuletzt
treu geblieben sind. Die nächsten drei Kapitel spiegeln das Ambiente
seiner Studienjahre im ehemaligen West-Berlin. Einen Höhepunkt bildet
hierbei "Am Großen Wannsee", das den gemeinsamen Besuch der
Wannseekonferenz-Ausstellung mit einem einst aus Deutschland geflüchteten
Schriftsteller protokolliert. Die letzten vier Besichtigungen hatten Amrum,
Stendal, Porto und Venedig zum Ziel. Sie glossieren die Tücken des
Erholungs- oder/und Bildungstourismus. In Porto allerdings strapaziert
ein Tanz der Eitelkeiten anläßlich eines Dichterarbeitstreffen
die Lachmuskeln.
Wie schon in "Leib und Seele" (1992) versteht es Treichel, die
Dämonie gedankenloser Dialoge auszuloten und in eine mitreißend
entlarvende Schriftform zu übertragen. Kaum hat sich die Leserschaft
über die "Macken" des anderen belustigt oder entsetzt, wird
von ihr einiges an Selbstironie abverlangt: Uns allen wird der Spiegel
vorgehalten, denn wer wäre nicht schon einmal an sich selbst gescheitert?
Weitere Besprechungen zu Werken von Hans-Ulrich Treichel siehe:
Büchernachlese-Extra: Hans-Ulrich Treichel