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Im Jahre 1596 beschließt der Augsburger Publizist Samuel Dilbaum
eine politische Zeitung zu gründen, denn "stark empfinde ich die
Angst vor dem Verschweigen unserer letzten Wirklichkeit, das zur letzten
Ursache unser aller Vernichtung werden kann". Trotz vieler Anfeindungen
und lebensbedrohender Denunziationsgefahr hat sich um Dilbaum bald ein
reißfestes Netz von Korrespondenten geknüpft, das europaweit
den mit Mord-und Folterwerkzeugen ausgetragenen religiösen Wahnwitz
jener Epoche nicht nur zu kommentieren, sondern auch zu verhindern sucht.
Das meiste kann zwar nicht gleich veröffentlicht, aber wenigstens
für spätere Generationen archiviert werden. Den bigotten Inquisitionstribunalen
ihre Opfer zu entreißen, hat noch weniger Erfolg. Aber dieses Korrespondentennetz
erfüllt einen höchst notwendigen Selbstzweck: Den angstfreien
Austausch von Meinungen, geisteswissenschaftlichen Thesen und naturwissenschaftlichen
Theorien. Und immerhin - selbst der Dreißigjährige Krieg bringt
diese konspirativen Stimme(n) der Vernunft nie gänzlich zum Verstummen ...
DAS WINTERKÖNIGREICH scheint auf den ersten Blick lediglich eine
sehr dicke, nach Jahren (1596-1632) chronologisch geordnete Ansammlung
von Briefen und Zeitungsmeldungen zu sein. Ganz abgesehen von dem weitaus
größeren Zeitraum, den dieses mit 1100 Seiten um zwei Drittel
"dünnere" Werk von Walter Umminger umfaßt, hat es ein Qualitätsmerkmal,
das M.Reich-Ranicki an Kempowskis ECHOLOT schmerzlich vermißte:
Es
ist fiktiv. Die Briefe sind frei erfunden, und sie wurden dramaturgisch
derart geschickt entwickelt und aneinandergereiht, daß für das
Ganze die Genrebezeichnung "Roman" mehr als gerechtfertigt ist. Ob die
Schreiben der Berühmtheiten jener Zeit wie Bacon, Comenius, Descartes,
Galileo usw. allesamt historisch korrekt "erfunden" sind, müssen andere
beurteilen. Sie sind jedenfalls sehr stimmig und unter Einbeziehung vieler
Orginalzitate verfaßt worden. So läßt der Autor uns u.a.
auch an den kosmologischen Überlegungen eines Bruno Giordano und Johannes
Keplers teilhaben. Aber vor diesen Briefen braucht keiner in Ehrfurcht
zu erstarren, denn Umminger ließ seine Protagonisten oft genug an
Nichtexperten addressieren. Zudem vervollkommnen viele Nachrichten aus
dem Alltag dieses prächtig düstere Geschichts- und Geschichtenmosaik,
dessen Abbild bigott-dummdreister Machterhaltungsstrategien dem unseres
Jahrhunderts zum Fürchten ähnlich ist.
1,2-Kilo Buch, die einen
nicht so schnell wieder loslassen.