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Sybil Wagener

Vergiss New York

Roman. Steidl Verlag, Göttingen 1997, 208 S., ISBN: 3-88243-450-3, >>> Amazon
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Die Tochter nabelt sich ab, der Mann sitzt nur noch an seinem Schreibtisch, da trifft Caecilia auf Ben, der eigentlich Siegfried heißt, Architekt ist und in New York lebt. Caecilias Entscheidung Ben nachzufolgen, hat viele Gründe. So reibt ihr der überhebliche Familienanhang noch nach 17 Ehejahren unter die Nase, wie sehr sie als "Zuagroaste" und einstige Studentin ihres Professorengatten doch Glück hatte, bei ihnen allen Unterschlupf gefunden zu haben. Und dann kommt ihre verschollen geglaubte Tante Klara aus New York. Angeblich auf Europatourneé um alle ihre Verwandten und Freunde zu besuchen, in Wahrheit aber sucht sie nur noch einen Platz zum Sterben. Sie hinterläßt Caecilia wiederaufgewühlte Kindheitserinnerungen und eine Wohnung in New York. Bei der Wohnung handelt es sich allerdings um eine heruntergekommene, längst ausgeräumte Mietwohnung im verruchtesten Viertel der Bronx. Und Ben?
Er sieht sich als den Zauberlehrling, der die gerufenen Geister in der Person Caecilias nicht mehr loswird. Daß Caecilia schließlich noch lebend, wenn auch unter Verlust ihres Gedächtnisses in dieser Metropole gefunden wird, hat sie ihrem Mann Paul zu verdanken. Er wiederum hat es Tochter Christine zu verdanken, daß er das Verschwinden seiner Frau überhaupt bemerkte. Die Entspannteste ist wohl Christine, die sich überlegt, wie sie ihrer Mutter vielleicht Ben ausspannen könnte ...
Sybil Wagener schreibt dieses scharfzüngige Familiendrama Kapitel für Kapitel jeweils aus der Sicht einer ihrer vier ProtagonistInnen fort. Zu unterscheiden sind sie weniger an äußerlichen Stilelementen als an dem jeweils ureignen Antrieb für die Sicht auf die Welt und auf sich. So bleibt Paul eben nicht nur die Karikatur eines verschrobenen Professors, der zwar ein ausgeklügeltes Essay über "Gut und Böse" formulieren kann, aber die Versuchungen vor der eigenen Haustür übersieht. Da sie alle nur in Teilbereichen von Blindheit bzw. Gedächtnisverlusten geplagt und ansonsten mit hoher Intelligenz ausgestattet sind, gelingt es zum Schluß tatsächlich allen Beteiligten, dem Ausbruch Caecilias neue, weiterführende Einsichten in die eigene Befreiung abzugewinnen.
VERGISS NEW YORK ist von einer alles anderen als ermüdenden Sprachfertigkeit, dabei mit seinen überraschenden Wendungen spannend wie ein Thriller und von einer Ironie, die nicht denunziert, sondern selbst die düstersten Schauplätze und Beweggründe zu erhellen vermag.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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