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Die Tochter nabelt sich ab, der Mann sitzt nur noch an seinem
Schreibtisch, da trifft Caecilia auf Ben, der eigentlich Siegfried heißt,
Architekt ist und in New York lebt. Caecilias Entscheidung Ben nachzufolgen,
hat viele Gründe. So reibt ihr der überhebliche Familienanhang
noch nach 17 Ehejahren unter die Nase, wie sehr sie als "Zuagroaste"
und einstige Studentin ihres Professorengatten doch Glück hatte, bei
ihnen allen Unterschlupf gefunden zu haben. Und dann kommt ihre verschollen
geglaubte Tante Klara aus New York. Angeblich auf Europatourneé
um alle ihre Verwandten und Freunde zu besuchen, in Wahrheit aber sucht
sie nur noch einen Platz zum Sterben. Sie hinterläßt Caecilia
wiederaufgewühlte Kindheitserinnerungen und eine Wohnung in New York.
Bei der Wohnung handelt es sich allerdings um eine heruntergekommene, längst
ausgeräumte Mietwohnung im verruchtesten Viertel der Bronx. Und Ben?
Er sieht sich als den Zauberlehrling, der die gerufenen Geister in der
Person Caecilias nicht mehr loswird. Daß Caecilia schließlich
noch lebend, wenn auch unter Verlust ihres Gedächtnisses in dieser
Metropole gefunden wird, hat sie ihrem Mann Paul zu verdanken. Er wiederum
hat es Tochter Christine zu verdanken, daß er das Verschwinden seiner
Frau überhaupt bemerkte. Die Entspannteste ist wohl Christine, die
sich überlegt, wie sie ihrer Mutter vielleicht Ben ausspannen könnte ...
Sybil Wagener schreibt dieses scharfzüngige Familiendrama Kapitel
für Kapitel jeweils aus der Sicht einer ihrer vier ProtagonistInnen
fort. Zu unterscheiden sind sie weniger an äußerlichen Stilelementen
als an dem jeweils ureignen Antrieb für die Sicht auf die Welt und
auf sich. So bleibt Paul eben nicht nur die Karikatur eines verschrobenen
Professors, der zwar ein ausgeklügeltes Essay über "Gut und
Böse" formulieren kann, aber die Versuchungen vor der eigenen
Haustür übersieht. Da sie alle nur in Teilbereichen von Blindheit
bzw. Gedächtnisverlusten geplagt und ansonsten mit hoher Intelligenz
ausgestattet sind, gelingt es zum Schluß tatsächlich allen Beteiligten,
dem Ausbruch Caecilias neue, weiterführende Einsichten in die eigene
Befreiung abzugewinnen.
VERGISS NEW YORK ist von einer alles anderen als
ermüdenden Sprachfertigkeit, dabei mit seinen überraschenden
Wendungen spannend wie ein Thriller und von einer Ironie, die nicht denunziert,
sondern selbst die düstersten Schauplätze und Beweggründe
zu erhellen vermag.