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Endlich! Nachdem in mehr und insbesondere weniger seriösen Publikationen
lang Vermutetes zur "sensationell" bewiesenen Erkenntnis aufgebauscht worden
war, legt der Knaur Verlag nun ein kritisches Lesebuch vor, das JESUS von
seiner wahrhaft (be-)deutungsvollen Seite zeigt. Ca. 50 AutorInnen - und
die wenigsten davon TheologInnen wie Dorothee Sölle oder Eugen Drewermann
- zeigen in Erzählungen, Romanauszügen, Gedichten und Essays,
daß und wie sehr sie sich an Jesus bzw. an seiner Interpretation
durch Kirchen und Gesellschaft gerieben haben. Abgesehen von Arno Schmidt
("Atheist? : Allerdings!") scheint kaum ein ernstzunehmender Chronist
unseres Kulturraumes um diese (notwendige!) Reibung herumzukommen. Selbst
und gerade auch ein Karlheinz Deschner, der nun schon seit Jahrzehnten
zum x-ten Mal die Verbrechen der Kirchen en detail nachweist (diesmal stellt
er einen Bezug zwischen Kannibalismus und Abendmahl heraus), kommt immer
noch nicht drumherum. Leider bleibt er auch immer noch in der reinen Negation
stecken, weil er die mißbrauchte und sogar im Wort vergewaltigte
Botschaft Jesu nicht von den mißbrauchenden Kirchen und den sie korrumpierenden
Staatsmächten unterscheiden will.
Alle anderen jedoch, ob Heinrich
Heine oder Fjodor Dostojeskij, Rudolf Augstein oder Wolf Biermann, Anthony
Burgess oder Robert Gernhardt und, nicht zu vergessen, Bert Brecht erkennen
bzw. erkannten in Jesus sehr wohl eine Essenz an, die es vor Fehlinterpretationen
zu schützen gilt. So würde Jesus heute die Hände über
den Kopf zusammenschlagen, wüßte er u.a. von den sich über
die "geringsten seiner Brüder" erhebenden Würden und Ämter
gewisser Nachfolger und was seine Kreuzigung angeht - die an die Juden
gerichtete kollektive Schuldzuweisung hätte er für einen schlechten
Treppenwitz gehalten. Hinreißend sind denn auch die Essays von David
Flusser, Schalom Ben-Chorin und Johannes Lehmann. Letzterer legt brillant
den Finger auf die Wunde eines Kirchentums, das seit Konstantin den
Versuchungen des Machtgewinns nicht widerstehen kann.
Dieses Lesebuch sollte nicht das letzte seiner Art bleiben! Gerade
die Kirchen müßten ein vehementes Interesse an den nicht kanonisierten,
neuesten Zeugnissen zu Glaubensfragen haben - wenn sie denn tatsächlich
noch auf Jesus hören und das Eigentliche seiner Botschaft aufnehmen
wollen.