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In der von Andreas Nohl herausgegebenen Reihe Steidl Nocturnes liegt seit Dezember 2022 nun auch eine Sammlung bislang kaum bekannter Erzählungen von Virginia Woolf (1882-1941) unter dem Titel "Die Witwe und der Papagei" vor.
Die Titelgeschichte eröffnet den Reigen und erfüllt als einzige die Erwartung an eine konventionelle Geschichte. In ihr wähnt sich die Witwe Mrs. Gage erst als glückliche Erbin eines Hauses sowie eines beträchtlichen Barvermögens, doch das Haus brennt bald darauf ab und das Geld ist nicht auffindbar. Das Einzige, was ihr vom jüngst verstorbenen Bruder bleibt ist ein Papagei, dem die Geschichte alsbald ein wunderbares Finale verdankt. Dem folgen die vier Kurzprosastücke "Handfeste Gegenstände", "Das Mal steht an der Wand", "Tod einer Motte" und "Momente des Seins" mit dem Untertitel "Die Nadeln von Slater's sind nicht richtig spitz". Sie sind ebenfalls sehr pointiert und verstehen sich auf überraschende Rückbezüge, sind dabei allerdings getragen von einem durchgehend melancholischen Grundton.
Im Anschluss daran versammeln sich unter der Überschrift "Eine Abendgesellschaft bei Mrs. Dalloway" acht kleine Innenansichten von sehr unterschiedlichen Gästen ebendieser Abendgesellschaft. Sie zeichnen mit spitzer Feder und sehr subtilen Humor ein Spiel von Schein und Sein nach, bei dem unter den Vorzeichen des damals vorherrschenden Zeitgeistes die einen stets zu profitieren meinen, während andere schon vorher wissen, dass sie dabei nur verlieren können und leiden werden.
Den Anhang bildet ein informatives Nachwort des Herausgebers sowie einige Seiten mit Anmerkungen zu spezielleren Begriffen in den Erzählungen.
Wie in dieser Reihe üblich, liegt auch dieser schmale Band wohl ausgestattet in Leinenbindung samt Lesebändchen in der Hand und passt damit ausgezeichnet zu den brillanten, von Liat Himmelheber überzeugend übersetzten Erzählungen von Virginia Woolf!