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WEDER FISCH NOCH FLEISCH
Die Unterrichtsmaterialien zum Religionsunterricht (=RU) sind vielfältig
- nicht zuletzt auch 'Religion heute' bietet da ja so manch konstruktive
Anregung - aber was die Bücher zum RU angeht, sind sie in der Regel
seit Jahrzehnten nach demselben Muster gestrickt: Soll-Bibelstellen werden
mit entsprechenden Bildillustrationen und vielleicht auch noch mit einigen
heranführend aktuellen Prosa- oder Lyriktexten garniert und in den
höheren Klassen um ein paar Exkurse in Fremdreligionen erweitert.
Schlecht beraten, wer den RU nur auf die Grundlage dieser Bücher stellen
wollte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil in der Familie gelebtes und tradiertes
Christentum bei den Schülern immer mehr zur Ausnahmeerscheinung geworden
ist und die Rolle des RU als "missing link" zwischen Kirche und
Gesellschaft ein immer größeres Gewicht bekam - was umso schwerer
wiegt, als so manche Kirchenleitung dem Berufsstand der ReligionslehrerInnen
(insbesondere der KatechetInnen) nicht gerade den Rücken stärkt.
Gar nicht zu singen das traurige Lied vom innerkirchlichen Diskurs um die
adäquate Rolle der Kirchen in heutiger Zeit, in dessen Strophen bisher
lediglich das monotone Sägen an den in der Gesellschaft noch wahrzunehmenden
Ästen der Kirche laut wird ...
Dietrich Zilleßen und Uwe Gerber haben nun etwas Neues versucht
- das Ergebnis ist ambivalent, um nicht zu sagen, weder Fisch noch Fleisch.
Überschrieben ist das Werk mit einem Vers aus dem Jona Buch "UND
DER KÖNIG STIEG HERAB VON SEINEM THRON" mit der Unterzeile "DAS UNTERRICHTSKONZEPT
RELIGION ELEMENTAR". Letzteres verweist schon darauf, daß hier nicht
der zweite vor dem ersten Schritt getan werden soll. In drei Kapitel gegliedert
versammelt der theoretische Teil somit durchaus lesenswerte, inspirierende
Essays. Vor dem (s.o. nicht einmal tradierten) Bekenntnis zu einer der
Konfessionen wird hier eine elementare Anmutung an religiöses Denken
und Fühlen überhaupt vorgestellt. Es geht um die Notwendigkeit,
die Dinge rückwärts schauen und damit die Vergänglichkeit
ertragen zu lernen. Dazu muß man "verrückt spielen",
d.h. die Positionen verrücken, gewohnte Standpunkte verlassen. Die
Spielregeln für verrückte Ansichten "folgen den Sinnen, weil
sie Spuren suchen vom Verborgenen, Stummen, Verdrängten. Religion
elementar sieht darin menschliche Grundfragen nach Gott, Glauben und Leben
aufgeworfen". Nicht stofflich abhaken, sondern Anstöße geben,
mit christlichen und anderen religiösen Traditionen umgehen und neue
Ansichten ausprobieren will dieses Konzept. Es soll keineswegs ermuntern,
vertraute Traditionen zu ignorieren, sondern mit ihnen spielerisch umzugehen.
"In diesem (auch anstrengenden) Spiel werden beständigere Verbindungen
zur Tradition geknüpft als durch reine Trainingsprogramme zur Einübung
feststehender Werte und Normen." Es versteht sich von vornherein als
Bausteinkasten, aus dem wahlweise ausgesucht und das Ausgesuchte in den
eigenen RU integriert werden kann.
Das Wissen um die seinerzeit "unmittelbare" Wirkung der Gleichnisse
Jesu auf seine Zuhörerschaft, die im RU nachzustellen zuweilen manch
tragikomische Verrenkung erfährt, soll mit einem einfachen, wohl gerade
deshalb genialen Kniff aufgegriffen werden: Nicht der biblische Text, sondern
die eigenen Sinne bzw. die "sinnenhafte" Erfahrung der Schüler werden
zum Ausgangspunkt des RU gemacht, der situative Ansatz also nicht zum nachrangigen
Vehikel eines Textes, sondern an den Anfang der Auseinandersetzung gestellt
werden. So haben die Unterrichtseinheiten Überschriften wie "fern
und nah" und "hart und weich" oder "stehen sitzen liegen"und "lachen weinen" oder "lieben und hassen" oder "genießen
und verzichten". Spannungsbögen für die Stufen 5/6 bis 9/10
wären dann "Elementares Wahrnehmen", "eigene Positionen und Bewegungen
finden" bishin zum Entwickeln von eigenen "Lebensentwürfen".
In dem Abschnitt über das "Leben im Dialog mit religiöser
Tradition", wird darauf verwiesen, daß die Bibel selbst schon
Ergebnis von Gesprächen, von Erfahrungen und Auseinandersetzungen
ist, zum anderen christliche Kerngehalte eher Lebensperspektiven denn feste
Inhalte sind, also Sehweisen, Blickrichtungen auf das Leben hin, Wege für
Visionen und Verheißungen, Strukturen für Lebensordnungen ermöglichen.
Didaktisch geben die Autoren die "Spieldidaktik" anstelle einer
sogenannten "Königsdidaktik" vor. Hier bedarf es entschiedener
Positionen, "aber alle Positionen müssen gleichwohl dem Schwanken
der Arche entsprechen, also fragwürdig und falsch werden dürfen."
Aber das heißt nun beileibe nicht, alles in Rollenspiele umzusetzen.
Ein spannendes Unterrichtskonzept für den Religionsunterricht
in der Sekundarstufe I. Ein Unterrichtskonzept, das sogar in den Neuen
Bundesländern auf Gegenliebe bei den Schülern stoßen müßte,
ohne daß es mit den nivellierenden Ausgrenzungsversuchen durch den
immer noch wirkenden Lehrkörper alter DDR-Schule in der real-existierenden
LER-Wirklichkeit Brandenburgs gleichzusetzen wäre. Die Grundlage dieses
Konzepts ist eindeutig christlich definiert - aber eben nicht mehr eindeutig
katholisch oder evangelisch.
Nur, was hat sich der Verlag dabei gedacht, diesen theoretischen Teil
nicht vom Schülerbuch zu trennen? Warum wurde zudem hier nur ein Auszug
eines Schülerbuches der Stufe 7/8 angefügt? Und warum fällt
dieser Auszug dann wieder derart hinter den theoretischen Teil zurück?
So heißt es bei den phantasielos, abstraktgehaltenen Aufgabenlogos
zu einem Anne-Frank-Text: "'Immer lachend, vergnügt und stets der
Mittelpunkt.' Das ist für Anne Frank vergangen. Warum sehnt sie sich
nicht mehr danach? Was bringt es, heute diesen Text zu lesen?"
Um mit dem Kabarettisten Matthias Richling zu sprechen: Wörtlich,
wirklich nur wörtlich zitiert!
Und so schön die beigefügten 24 Dias auch sind - wer gibt
59,- DM für ein Schnupperbuch aus, dessen Essenz, gekürzt und
professionell redigiert auch in einer Fachzeitschrift Platz hätte?