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Den Autor Sioma Zubicky bis zur Lektüre seiner Biographie nicht gekannt zu haben, dürfte hierzulande wohl von vielen geteilt werden. Dabei wurde der 1926 in Berlin, genauer gesagt, im Zirkus Busch geborene Sioma Zubicky vor und während des Krieges auf vielen Bühnen Europas als musikal-artistisches Wunderkind gefeiert und vermochte sich ohne jede Schulbildung in sieben Sprachen zu verständigen. Sein virtuoses Spiel auf dem Xylophon teilte sich in Paris die Bühne mit Weltstars wie Edith Piaf, Maurice Chevalier, Josephine Baker und Jacques Tati.
Er und seine Familie verstanden sich jedoch vor allem als Zirkusartisten, die es gelernt hatten, sich überall zu Hause zu fühlen - sofern sich Auftrittsmöglichkeiten boten. Als Berlin 1933 für sie zu gefährlich wurde, zog die "staatenlose" Familie russisch-jüdischer Herkunft in die einstige Tschechoslowakei. 1939 ging es in die Schweiz, wenig später nach Paris. Als auch Frankreich besetzt wurde, bot sich kein anderes Land zur Flucht an - also versuchte es der Vater mit Dreistigkeit und den "unvollständigen" Angaben auf dem Nansen-Pass. Er ließ seinen Sohn in Frankreich, Belgien, und Holland vor den Besatzern auftreten und spionierte zugleich für die Résistance. Das klappte bis 1943. Während der Vater kurz nach seiner Verhaftung zu fliehen vermochte, gerieten Sioma mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder in die Fänge der Gestapo und sahen sich nur wenig später nach Auschwitz verschleppt. Mutter und Bruder wurden sofort ermordet, Sioma überlebte ...
All diese Erlebnisse verdichtet Sioma Zubicky auf knapp 125 Seiten, ergänzt von einem Anhang mit Begriffserklärungen. Sehr nüchtern, ja geradezu spröde im Ton reißt einen bald der Erzählrhythmus mit, ist man ihm bereits ganz nah, als er von der Überforderung durch den Vater und von seinen ersten Lieben erzählt. Ohne jede Sentimentalität. Weder verklärt er seine Familie noch das Leben im Zirkus oder auf den Bühnen. Die Schreckensjahre in Auschwitz zeichnet er auf knapp 35 Seiten nach. Kein Wort zu wenig, wird der Leser von einem immer mehr anziehenden Spannungsbogen vorangetrieben. Zubicky klagt nicht an, er schildert so prägnant wie lakonisch, was seinem Leben, seinem Weiter- und Überleben Impulse gab. So sieht er sich als einen Auschwitz-Überlebenden und bezieht das auf das subjektive Erleben und Empfinden jedes einzelnen Überlebenden. "Jeder von uns, der es schafft, von dem Grauenhaften zu berichten, fügt dem Gesamtbild der Vernichtung einen wichtigen Mosaikstein hinzu. Vollständig kann das Bild nicht werden. Die Ermordeten nahmen ihren Teil mit ins Grab."
Auf den 30 Seiten nach der Befreiung hasst er weder ganz Deutschland noch hebt er sein späteres "neutrales" Heimatland Schweden in den Himmel. Seine Analysen spitzen knapp und präzise unangenehme Wahrheiten zu, ohne irgendwen zu verurteilen. Seine Fassungslosigkeit mündet in nach wie vor gültigen Fragen. Er erzählt schließlich noch von einer gescheiterten und einer bis heute währenden glücklichen Ehe sowie von seiner Nachkriegsexistenz als Zeitungsredakteur, der seit seiner Pensionierung als Zeitzeuge vor jungen Menschen in vielen Ländern spricht. Zubickys nahezu bis zuletzt durchgehaltene lakonische Nüchternheit und Zurückhaltung rührt an, trifft mitten ins Herz und bereitet den glaubwürdigen Boden für seine am Ende vorgetragenen Hoffnungen. Seine Biographie "Spiel, Zirkuskind, spiel" empfiehlt sich damit unbedingt als Lektüre für die Nachgeborenen des Krieges und nicht zuletzt auch als Ergänzung zu den Tagebüchern Anne Franks.