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"Im Traum wird Freiheit des Denkens gefordert,
zuweilen auch dafür, was in Wirklichkeit wohl
nicht besteht." oder "Dann ließen die Herren den Galileo
allein zurück, marschierten geschlossen aus Marginis Haus, hinaus
in die Unwissenheit, die ihnen bequemer war..."
Diese beiden Zitate umspannen in etwa den Bogen eines Romans, in dem
ein Privatdozent der Rhetorik im Jahre 1930 den Auftrag
erhält, eine Lobrede auf den Astronomen Kepler
zu dessen 300. Todestag zu verfassen. Der Auftraggeber hält
sich lange Zeit bedeckt, was Arnold Seidenschwarz, seines
Zeichens Jude, Sozialdemokrat und gerade frisch und ohne Angabe von
Gründen entlassener Dozent der Erlanger Universität noch in arge
Bedrängnis bringen soll.
Nachdem sich das Inkognito des bayerischen Fürsten
gelüftet hatte und es sich Seidenschwarz im Zickzackgang
nicht verkneifen konnte, auf den Schock hin noch beim Stammtisch
der "Lügner" ein Bier zu bestellen, ahnte schon einer
der Mit-Lügner, daß der für das souper vom
Fürsten angediehene Anzug aus einem Stoff für die Ewigkeit gewebt
ist. Warum läßt sich ein konservativer Fürst
von einem Sozi die Rede schreiben, noch dazu wenn
dieser Fürst alles andere als auf den Mund gefallen ist?
Von Kepler wußte A.S. nicht mehr als den Namen. Als
er mit einer Apfelsine und zehn Eiern das Sonnensystem nachzustellen
versuchte, wurde ihm schwindlig, und er geriet in den
freien Fall der Gedanken, der eine einseitig "teutsche"Lobhudelei unmöglich machte.
Wie der vor zwei Jahren erschienene
LANDRU ist KEPLERS TRAUM ein Gegenwartsroman aus mehreren Schichten
historischer Stoffe, die sich wiederum aus dem gekonnten Wechsel
der Erzählperspektiven erschließen: Der
träumend, nachdenklich hoffende Arnold Seidenschwarz,
der Arnold Seidenschwarz in der Interaktion mit seinen Zeitgenossen und
-ein besonderer Genuß- die Dialoge zwischen Arnold Seidenschwarz
und seinem jüdischen Gewissen in der Person des Rabbi Blum.
Dem Autoren Jürgen Alberts ist es nicht nur
gelungen, auf der Grundlage des staubtrockenen
Tabellen-und Zahlenmaterials eines Astronomen unaufdringlich und
deshalb unwiderstehlich ein komplexes Weltbild
vorzustellen, sondern er bewies mit diesem Roman
eine erzählerische Kraft, die eine/n nach der letzten
Seite sehr tief in die zum Lesen gewählte Sitzgelegenheit fallen läßt.
Weitere Besprechungen zu Werken von Jürgen Alberts siehe:
Jürgen Alberts: Keplers Traum (1989)
Jürgen Alberts: Hitler in Hollywood (1997)
Jürgen Alberts: Der Violinkönig (2000)