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Cayetano Brulè, seines Zeichens in Chile lebender Kubaner, wird 1973 von Pablo Neruda beauftragt, eine Frau wieder zu finden, mit der der todkranke Dichter vor Jahrzehnten ein Verhältnis hatte. Da Cayetano bis dahin noch nie als Detektiv gearbeitet hat, bekommt er von Neruda neben den spärlichen Informationen zu der Frau noch einige Maigret-Kriminalromane ausgeliehen. Doch ob dieses "Rüstzeug" für eine solche Suche ausreicht, die nicht zuletzt von dem sich abzeichnenden Putsch des General Pinochet gegen Salvador Allende überschattet wird?
"Der Fall Neruda" von Roberto Ampuero wird seltsamerweise vom Verlag als "Krimi" angeboten, dabei hat dieser Roman eher etwas von der tragikomischen Queste eines Don Quichotte an sich.
Die Suche Cayetanos nach einer geheimnisvollen Frau ist nicht zuletzt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Machismo eines allseits bewunderten Pablo Neruda, der angesichts der politischen Umstände sein literarisches Lebenswerk bedroht sieht und nun wenigstens noch im Bewusstsein sterben will, der Welt ein Kind hinterlassen zu haben. Die aberwitzig geringen Vorgaben für diese Suche fordern Cayetano heraus, das Fehlende durch Fantasie und Intuition zu ersetzen - und damit ist er ganz nah an seinem Auftraggeber. Vor dessen spärlichen, immer neu nachgetragenen Offenbarungen schreckt er zwar, wie auch der Leser, nicht selten entsetzt zurück, doch Nerudas Verzweiflung und sein nach wie vor wirksamer Charme lässt Cayetano nicht lange genug verstimmt sein, um zwischen Neruda und sich einen Schlussstrich zu ziehen. Außerdem helfen Nerudas Aufträge Cayetano eine eigene gescheiterte Liebesbeziehung zu verdauen.
Neben dem Autor ist auch unbedingt das Verdienst des Übersetzers Carsten Regling zu würdigen, der Nerudas Charme genauso wie Cayetanos Kommentierungen als dessen Sancho Pansa in einen "mitreißenden", weil subtil einnehmenden Sprachrhythmus zu kleiden versteht. Und last, but not least werden die Leser auf eine spannungsgeladene Zeitreise mitgenommen, die sie zusammen mit Cayetano auch in das Alltagsgeschehen Chiles, Mexikos, Kubas und der DDR von 1973 einführt.
Dem in der Gegenwart spielenden Ende dieses Romans gelingt schließlich ein überzeugender Balanceakt, der zwischen zynischem Sarkasmus und altersmilder Versöhnlichkeit pendelt.
Ein außergewöhnliches Stück Literatur über einen großen Dichter und die ihn spiegelnde Welt, dem man gerne weitere Verbreitung wünscht.
Weitere Besprechungen zu Werken von Roberto Ampuero siehe:
Roberto Ampuero: Der Fall Neruda (2011)
Roberto Ampuero: Tod in der Atacama (2012)
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