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Chris trifft auf Koller - und ist sofort hin und weg. Schon riecht das Meer genau richtig nach Meer.
"Wir haben uns nur ein einziges Mal geküsst. Seitdem warte ich darauf, dass es mich davonspült, so wie Krebse und Muscheln vorne im Saum."
Dabei will Koller immer mit dem Kopf durch die Wand und denkt sowieso, alles sei ganz einfach, während Chris zu viel nachdenkt und alles zurückhält …
Mit "Koller" legt Annika Büsing nach ihrem erfolgreichen Debüt mit Nordstadt vor einem Jahr erneut einen staunenswert gelungenen Roman vor.
Auf dem Buchcover ist die Front eines alten Golfs zu sehen, was schon anzeigt, dass Chris und Koller alsbald "on the road" sind. Die beiden Helden, um die dreißig Jahre alt, wirken zuweilen ziemlich postpubertär, weil nur auf sich bezogen, doch zugleich auch erfrischend anarchisch in ihrer Spontanität. Erst sollte es direkt zur Ostsee gehen, doch dann erfährt Koller, dass er Vater eines Mädchens ist, dass womöglich aus den Fluten im Ahrtal gerettet werden muss.
Und mit dieser Erkenntnis setzt auch der einzige Kritikpunkt an dem Roman an: Denn für diesen Dreh und dessen Dringlichkeit hätte nicht unbedingt der Bezug zu einer tatsächlich erst kürzlich erlittenen Katastrophe mit zahlreichen, hier gänzlich unerwähnten Todesopfern herhalten müssen - noch dazu, wenn besagtes Kind zwar in der Nähe des Ahrtals, dann aber gar nicht direkt von der Katastrophe betroffen war und weiterhin alles nur ziemlich schrill (und auch witzig) um die beiden Helden kreist.
Stark dagegen u.a. Büsings Sinn für Sprachbilder und Formulierungen, die sich festhaken und weiter nachhallen.
Insbesondere eine Leserschaft in ähnlichem Alter wie Chris und Koller - etwa plus-minus-zehn-Jahre - dürfte viel Vergnügen an dieser mit nicht wenig Wahnsinn gespickten Tour de force haben. Nicht zuletzt auch, weil die Autorin souverän das zum Glück nun immer selbstverständlicher werdende Auftreten eines schwul-bisexuellen Paares und seiner Suche nach Zugehörigkeit, Freiheit und vor allem Selbstbestimmung so überzeugend wie glaubwürdig zu entfalten weiß.
Und das könnte, sollte womöglich auch für eine ältere, heterosexuell geprägte Leserschaft eine Einladung zum Verständnis für eine jüngere Generation oder generell zum Entdecken von Neuland sein.
Weitere Besprechungen zu Werken von Annika Büsing siehe:
Annika Büsing: Nordstadt (2022)
Annika Büsing: Koller (2023)