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GLEICH UM DIE ECKE IST DAS MEER, vor den Aquarien im Kaufhaus. Stundenlang können sich Bettina und Rainer beim Betrachten der Fische hinwegträumen. Und diese Auszeit haben sie auch bitter nötig. Rainers Vater ist im Gefängnis, er selber im Heim. Bettina dagegen lebt zwar mit Eltern und Geschwistern zu Hause, aber der Vater trinkt, die Mutter hat kaum noch Kraft und die älteren Geschwister lassen sich nur selten blicken. So muß sich Bettina meist allein um die Kleinen und um den Haushalt kümmern. Und jetzt hat sie sich auch noch in Kemal verliebt.
Diese Erzählung der Berliner Autorin Sigrun Casper ist gleich aus mehreren Gründen preisverdächtig. In ihr bieten sich (zum ersten Mal?) in einer Weise Kinder aus einer 'Doofenschule' bzw. Sonderschule als Identifikatoren an, die jede Häme ausschließt. Sonderschüler dürften sich verstanden fühlen, Gymnasiasten könnten ungeahnte Parallelen entdecken und ihres etwaigen Dünkels verlustig gehen. Insbesondere, was dieses langsame Aufstauen von Aggressionen und ihre scheinbar unmotivierten Explosionen angeht, hat Sigrun Casper eine 'klassenübergreifende' Sprache gefunden, die ohne falsche Anbiederei überzeugt. Die Schilderungen der Innenansichten ihrer Handlungsträger sind von einer kraftvollen, mitreißenden Poesie und stehen den kurzen, notgedrungen z.T. unvollendeten Dialogen gegenüber. Damit geht die Autorin über die manchmal billige Forderung des Miteinanderredens hinaus: Die, die reden können, sollten vielleicht endlich aus dem Offensichtlichen ihre Schlüsse ziehen und handeln.
Ein gelungenes, ein wichtiges Buch über das Alleingelassensein und die Annäherung an Andere, das dank seiner formvollendeten Sprache für die Sekundarstufe I jedes Schultyps geeignet ist.
Weitere Besprechungen zu Werken von Sigrun Casper siehe:
Sigrun Casper: Der Springer über den Schatten (1990)
Sigrun Casper: Gleich um die Ecke ist das Meer (1996)