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Christine Jansen ist zehn Jahre alt. Zusammen mit ihrem kleinem Bruder
versteckt sie sich in einem fremden Wagen. Sie muß fliehen. Ihr älterer
Bruder ist tödlich verunglückt. Sie hat ihn geschubst. Während
Christines Eltern an eine Entführung glauben, verbringen das Mädchen
und ihr Bruder die Tage im Ferienhaus von Agnes. Agnes ist siebzig und
betrauert den Tod des letzten ihrer vier Brüder, mit denen sie gemeinsam
jenes Ferienhaus von einer Ruine zu einem alljährlichen Treffpunkt
der Kinder und Kindeskinder der Familie verwandelt hatte. Das Zusammentreffen
mit dem Mädchen mündet für die alte Frau in einer Katharsis.
Die Frau muß nach dem Tod des Bruders erfahren, daß sie in
ihrer Familie nach all den Jahrzehnten keineswegs einen Ehrenplatz einnimmt.
Nicht ihre Leistung als Ferienbetreuerin des Familiennachwuchses, sondern
ihr altjüngferliches Unverheiratetsein steht mit einem Mal im Mittelpunkt
der Auseinandersetzungen. Das nicht zuletzt im Mißbrauch begründete
"bockige" Verhalten des Mädchens gibt Agnes Anstöße
für Assoziationen, die weit in die Vergangenheit reichen und heilsame
wie fatale Auswirkungen für die Gegenwart haben.
Renate Dorrestein hat es in ihrem Roman WAS KEINER SIEHT wie selten
verstanden, in einer wunderbar austarierten Sprache die scheinbar paradoxen
Gemeinsamkeiten zwischen ganz jung und sehr alt darzustellen. Ihr gelingen
dabei eindrucksvolle Metaphern, die zwischen den Traumwelten und den immer
weniger zu verleugnenden Realitäten der beiden Heldinnen vermitteln.
Weitere Besprechungen zu Werken von Renate Dorrestein siehe:
Renate Dorrestein: Was keiner sieht (1997)
Renate Dorrestein: Ein Herz von Stein (1999)
Renate Dorrestein: Das Erdbeerfeld (2003)