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Ralph Giordano

Ostpreussen ade

Reise durch ein melancholisches Land. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, 368 S., ISBN: 3-462-02371-3, >>> Amazon
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Ralph Giordano ist immer wieder für eine Überraschung gut. Als Kind war ein Foto von einer Landschaft in Ostpreußen zu seiner Traumheimat, einer Art Phantasia geworden. Es dauerte 60 Jahre, bis er sie zum ersten Mal aufsuchen konnte. Er blieb anderthalb Jahre und legt nun ein Buch vor, daß sich hinter keines seiner vorherigen zu verstecken braucht. Wie in "Israel, um Himmels willen, Israel" reiste er kreuz und quer, befragte alle möglichen Stimmen zu der Befindlichkeit dieser Region. Und die ist keineswegs einfach zu fassen, denn sie korrespondiert auf eine tragische Weise mit dem "deutschen Wesen", das nur noch in der Erinnerung gealterter Bewohner, Touristen und z.T. obskurer Vereine verhaftet ist. OSTPREUSSEN ADE lautet der Titel, ohne Fragezeichen, aber auch ohne das Ausrufungszeichen eines "Hab-ich's-doch-gewußt". Denn Giordano lernt dieses Land lieben.
"Manche Stämme sind gekippt, ragen aus vermodertem Gestrüpp mit abgebrochenen, aber immer noch mächtigen Zweigen krokodilhaft über die Wasserfläche hin, wollen nicht ganz stürzen, wollen nicht ersaufen, wehren sich zäh gegen die Schwerkraft."
Mit Kopf und Bauch will uns der Autor diese Landschaft nahebringen. Das geschieht in erster Linie mit sauber von seinen Kommentaren abgehobenen Statements oder lange für sich bewahrten Erinnerungen, die neben den Details meist verräterisch von selektiver Wahrnehmung zehren. Es ist immer nur das eigene, nicht wegzuleugnende Leid, das im Vordergrund steht, nur selten die bittere Einsicht, daß dieses Leid die Folge einer geduldeten oder aktiv unterstützten Aggressions-Politik von Nationalsozialisten war. Dagegen immer wieder der Versuch aufzurechnen: die Grausamkeiten der Nazis gegen die der Russen, Polen, Ukrainer ...
Es endet mit der Schilderung bundesdeutscher Bemühungen, die darin gipfeln, diese Region mit Beratern zu überschwemmen. Mit 400 DM und mehr täglich honoriert sind sie jedoch weit ineffektiver, als wenn diese Summen den durchaus existierenden integren Organisationen überwiesen würden, deren ehrenamtliche Vorsitzende lediglich 100 DM Rente monatlich beziehen. Ralph Giordano gelang ein Meisterwerk journalistisch-essayistischer Betrachtung, das einmal mehr zur Versöhnung zwischen Vergangenheit und Zukunft aufruft. Letztere ist allerdings ohne Nach-Denken und Vor-Sicht nicht zu haben.

Weitere Besprechungen zu Werken von Ralph Giordano siehe:
Ralph Giordano: Die zweite Schuld (1987)
Ralph Giordano: Ostpreussen ade (1994)

Buechernachlese © Ulrich Karger


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