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1781 geht George Thomas als 'gepreßter' Soldat in Madras von Bord, nur um sogleich zu desertieren. Das hat aber keineswegs etwas mit Vernunft oder Feigheit zu tun, sondern mit der Weissagung einer alten Frau. Der 24-jährige hat viel vor. Dieser verdreckte und allseits verachtete Ire will sich in Indien zu einem 'Raja', einem König hochkämpfen. Und ein Vierteljahrhundert später hat er das tatsächlich auch geschafft.
Indien ist am Ende des 18. Jahrhunderts ein Schauplatz jahrzehntelanger Kämpfe und das Reich der Mogulkaiser nicht zuletzt auch wegen der militärischen Einflußnahme durch die europäischen Kolonialmächte in Auflösung begriffen. Disziplinierte, europäisch geschulte Offiziere tragen in sich ein meist bietend zu verwertendes Kapital, das schnellen Aufstieg ermöglicht.
Bis auf zwei Personen, nämlich dem gottlosen, nach einem Gott suchenden Arzt João Saldanha aus Portugal und Tamira, seiner späten großen Liebe, sind die Handelnden dieses neuen Romans von Gisbert Haefs historisch bezeugt. Doch gerade an diesen beiden skeptischen Genießern, die sich von den Absurditäten des Lebens kaum noch überraschen lassen, reibt sich die gleich der Ilias in aller Lakonie vorgetragene, gemetzelreiche Rahmengeschichte des George Thomas. Verbindungsglied zwischen George und João ist u.a. ihre Vorliebe für Zehen. Während jedoch der jüngere sie zum besonderen Schönheitsmerkmal bei Frauen erhebt, sucht der ältere nach ihnen in Reliquenform. Wie der Autor so etwas in Beziehung setzt, dabei die Schrecken des Krieges, seine machiavellistisch brutale Gleichgültigkeit einer über die Jahre währenden Freundschaft und Liebe im seinerzeit brodelnden Vielvölkergemisch Indiens gegenüberstellt, zeugt von umfangreicher Sachkenntnis und einer das Wesentliche treffenden Fabulierkunst, die aufs Beste unterhält und zugleich den Horizont erweitert.
Weitere Besprechungen zu Werken von Gisbert Haefs siehe:
Gisbert Haefs: Beowulf
Gisbert Haefs: Die Geliebte des Pilatus
Gisbert Haefs: Raja