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Büchernachlese-Extra: Günter Grass

Martin Köbel (Hrsg.)

Ein Buch, ein Bekenntnis

Die Debatte um Günter Grass' "Beim Häuten der Zwiebel". Steidl Verlag, Göttingen 2007. 368 Seiten. 12,00 Euro. ISBN: 978-3-86521-427-0, >>> Amazon
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Wer noch nicht genug davon hat, kann sich in "Ein Buch, ein Bekenntnis" ein noch umfassenderes Bild von der einstigen Debatte um Günter Grass und sein autobiographisches Werk Beim Häuten der Zwiebel machen.
Nacheinander sind nun nachzulesen: Eine 'Kleine Chronologie' und daran anschließend Meldungen und Zeitungsartikel, die den 'Anlass der Debatte' bildeten, die 'Pressekommentare zum Bekenntnis', ein Extrakapitel für die 'Bild-Zeitung', danach wiederum 'Interviews mit Günter Grass' und 'Interviews über Günter Grass', 'Stellungnahmen' von Leitartiklern und Schriftstellerkollegen, 'Pressekommentare zur Debatte', 'Kolumnen und Karikaturen', 'Leserbriefe', 'Aktenfunde', 'Geschichtliche Aspekte', 'Danzig', 'Rezensionen' und in Zeitungen kommentierte 'Lesungen'. Diese weit über 300 Seiten bilden natürlich längst nicht alle Verlautbarungen zu dieser Thematik ab, aber dem Herausgeber Martin Köbel ist hier zuzustimmen, dass das "weder sinnvoll noch möglich" gewesen wäre. So findet sich jedoch unter den 80 registrierten Medien - abgesehen von den Onlineablegern des WDR und vom Spiegel - auch keine einzige originäre Internetpublikation, und der Fokus gedruckt und "versendeter" Veröffentlichungen, davon zwei aus dem Ausland (El País und The Guardian), beschränkt sich auf den Zeitraum vom 11. August bis Anfang September 2006.
Für diesen Zeitraum wird nun ein gewiss repräsentativer Querschnitt abgebildet, der handwerklich sauber im Anhang durch ein Autoren- und Quellenregister abgerundet wird.
Der Querschnitt reicht von vordergründig "Unsäglichem", wie Handkes "Schande"-Getöse bis hin zu der sehr differenzierten und überzeugenden Stellungnahme der Psychologin Margarete Mitscherlich. Dazwischen viel Klagegeschrei und Loyalitätsgesäusel (u.a. von Helmut Frielinghaus, langjähriger Lektor von Günter Grass) und zwei Artikel, zu denen Reaktionen von Günter Grass schmerzlich fehlen: So fragt man sich, was er den SS-bedingten Assoziationen eines Louis Begley und dessen daraus resultierenden Vorwürfen entgegnen würde. Und nicht weniger interessant wäre seine Reaktion auf das in 'Bild' zitierte und zuerst in der 'Welt am Sonntag' veröffentlichte Vater-Tochter-Röhl-Interview, in dem Günter Grass von dem etwa gleichaltrigen Schulkameraden Klaus Rainer Röhl übelster, hier nicht erneut weiterzuverbreitender Vorwürfe ausgesetzt wird - denn im Zweifel mag man hier dann doch noch immer eher Grass als solchen Verlautbarungen in der Springer-Presse glauben.

Zur Motivation seiner Medien-Synopse schreibt Köbel: "Als Herausgeber dieser Auswahl von Kommentaren, Interviews, Kolumnen, Rezensionen und Leserbriefen beschäftigten mich vor allem medienanalytische Fragen. Ich suchte herauszufinden, aus welchen Energien sich die Meldungs- und Meinungsmasse gespeist, welche Faktoren sie in die Exzessivität getrieben und was die Debatte als massenmediales Phänomen zu bedeuten hat."

Nun ja, das stimmt nur bedingt, d.h. Köbel führt zuweilen durchaus treffend die Automatismen sich selbst generierender Medien vor, aber er bleibt - selbstverständlich! - nur ein weiterer sich selbst erfüllender Teil davon, als er eben zwar einen sachlichen Ton sucht, aber keineswegs neutral seine "Metaschau" vornimmt. Denn er hat bei all der berechtigten Kritik einen ganz wichtigen Teilhaber dieses Phänomens außer acht gelassen - Günter Grass selbst, von dem es an einer Stelle nur lapidar heißt: "Ein Autor, der bei den Lesern ein Sachinteresse zu wecken sucht, zielt damit auch auf ein potentielles Kaufinteresse; der citoyen tritt stets dialektisch verzahnt mit dem bourgois, dem Wirtschaftsbürger auf."
Eben! Und damit wird jetzt keinesfalls auf die aus der Erkenntnis oben resultierenden und zumindest dem Verkaufsergebnis nach erfolgreichen Vermarktungsstrategie des ersten FAZ-Interviews abgehoben, sondern auf Günter Grass als darüber hinaus nunmehr jahrzehntelangem Teilhaber und virtuosen Mitspieler eben dieses "Phänomens". Und genau darauf zielen auch die nicht ganz so nationalweit durchdringenden Anfragen einer Margarete Mitscherlich, die sich darin unter anderem an die Hintergründe seines "Selbstwertgefühls" herantastet. Aber damit begänne eine essentielle Auseinandersetzung, die Günter Grass vor allem erstmal mit sich selbst und allein zu führen hätte.
Für das Selbstwertgefühl der Leserschaft aber bleibt festzuhalten, dass es tunlichst jedwede Projektion vermeiden sollte, die, aus welchem Autor auch immer, eine "Autorität" oder gar eine "moralische Instanz" zu machen sucht. Selbst hinter den brillantest vorgetragenen Wahrheiten steht immer auch der Antrieb eines bestenfalls aus Fehlern lernenden Menschen. Nicht mehr und nicht weniger.

Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass

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