www.buechernachlese.de
|
Commissario Brunetti wird von einer Studentin seiner Ehefrau danach gefragt, ob die Ehre eines Mannes wiederherzustellen sei - und das obwohl er schon Jahre tot ist und ein Kriegsverbrecher war. Dass es nicht nur eine rein akademische Frage ist, sondern es sich bei dem Mann um ihren Großvater handelte, wird Brunetti schnell klar. Dennoch greift er das Thema erst wieder auf, als die Studentin erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden wird.
Was ist nur das Erfolgsgeheimnis einer Autorin wie Donna Leon?
In ihren Kriminalromanen kommen zwar neue Techniken und Medien wie das Internet vor, auch zeichnen sich globale Entwicklungen wie z.B. die Ströme von Aus- und Einwanderern ab, dennoch suggerieren sie eine hermetisch heile Welt, in der sich ein Commissario darum Gedanken macht, ob er seinen Untergebenen duzen soll oder wie das Rezept eines bestimmten Gerichtes lautet. Der südliche Charme stellt sich durch die ausgeklügelte Balance eines archaischen Geben und Nehmens ein - jede und jeder weiß, dass die Gesetze nur Papier sind, solange sie nicht durch Gefälligkeiten unterfüttert werden. Was uns Deutschen so fern scheint, ist aber vor allem der in solcher Gesetzeslage geforderte Mut zur Selbstverantwortung, der dann einem der Humanität verpflichteten Gerechtigkeitssinn auch tatkräftig Rechnung trägt. Damit das nicht ins Hybride abgleitet, bedarf es allerdings auch eines märchenhaft aufgestellten Verwandten-, Freundes- und Bekannteninformationsnetzes, über das ein stets liebenswerter Brunetti (oder auch Andrea Camilleris durchaus vergleichbarer, wenn auch kauziger Montalbano) verfügen kann.
Der Vorteil: Aus dem Töten selbst muss keine Spannung gezogen werden, und es ist mehr von der Wahrheit eines Problems die Rede - und das ist wie in diesem elften Fall von Brunetti zuweilen durchaus unterhaltsamer zu lesen als die reine Spiegelung der Wirklichkeit.
Mit "Die dunkle Stunde der Serenissima" hat Donna Leon jedenfalls genau den richtigen Mix gefunden, der eine Geschichte vorantreiben hilft und sie rund macht. Neben der Liebeserklärung an Venedig ein ungeklärter Fall, dessen Motive in die jüngere Vergangenheit zurückreichen und vertraute Protagonisten, die um neue Teile ihres Persönlichkeitspuzzles ergänzt werden. Und das meint hier auch die in ganz Italien kaum oder nur ungenau betrachteten Zeiten des Faschismus - was noch heute beängstigende Folgen zeitigt.
Weitere Besprechungen zu Werken von Donna Leon siehe:
Donna Leon: Feine Freunde (2001)
Donna Leon: Die dunkle Stunde der Serenissima (2003)