www.buechernachlese.de
|
Endlich keine Soldatin mehr! Mattea freut sich auf die Hochzeit, auch wenn die Charakterübereinstimmung mit dem künftigen Ehemann nur laue 78 Prozent beträgt. Als potentielle Schwangere ist sie nicht mehr zum Dienst an der Waffe fürs österreichische Vaterland verpflichtet. Doch aufgedreht durch Alkohol und Pillen, löst sich aus ihrer Pistole ein Schuss und tötet eine der beiden ihren Junggesellinnenabschied mitfeiernden Freundinnen. Sie flieht - wiewohl das in dem inzwischen rechtspopulistisch regierten Staat Österreich aussichtslos ist. Das Überwachungssystem ist nahezu lückenlos, nicht nur wegen der elektronischen Ortungsmöglichkeiten, sondern auch dank zahlloser Denunzianten. Dass Mattea regimetreu war und selbst ihren widerständigen Vater verleugnet hatte, nutzt ihr nun gar nichts mehr. Im Gegenteil, schon bald wird ein Fahndungsfoto von ihr verbreitet, das sie fälschlicherweise mit dem Namen einer untergetauchten Revolutionärin in Verbindung bringt …
"Lügenland" lautet der Titel eines in einer näheren Zukunft angesiedelten Polit-Thrillers von Gudrun Lerchbaum.
Angesichts ihrer vergleichsweise schnellen literarischen Reaktion auf den rechtspopulistisch angeheizten und u.a. die Not von Flüchtlingen missbrauchenden Nationalismus hat Gudrun Lerchbaum mehr als angenehm enttäuscht: Wiewohl einem die Heldin Mattea mit ihrer Unbedarftheit anfangs zuweilen arg gegen den Strich geht, versteht es die Autorin, diese Unbedarftheit nachvollziehbar als unmittelbaren Teil des grundsätzlichen Problems vorzustellen und diese Hürde mit einem mehr als nur abenteuerlichen Plot zu überwinden. Dieser Plot entwickelt einen unwiderstehlichen Sog - einerseits durch die Einbindung lediglich existierender nur wenig modifizierter Überwachungstechniken, aber auch durch das satirische Ausreizen einer Denke, mit der rechtspopulistische Machtbestrebungen bzw. deren Versuche eines dystopischen Machterhalts auf den Punkt gebracht werden.
NB!: "Satirisch" meint hier "überspitzt", aber keinesfalls "übertrieben", wie die jüngsten Äußerungen der deutschen AFD-Vorsitzenden zum Adjektiv "völkisch" beweisen.
Darüber hinaus versteht es Lerchbaum in wohltuend flüssiger Sprachregelung neben der Heldin noch weitere glaubhaft differenzierte Charaktere zu zeichnen, die weit mehr sind als Projektionsflächen von Falsch- und Richtig-Ideologien. Da hat selbst eine berührende Liebesgeschichte noch Platz.
Packend, unterhaltsam, ernüchternd, zuweilen komisch, aber nie albern, ist dieser Roman auch über das Ende hinaus durchaus nachdenklich stimmend.
Was will man mehr?
Weitere Besprechungen zu Werken von Gudrun Lerchbaum siehe:
Gudrun Lerchbaum: Lügenland (2016)
Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist (2018)