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Eine kostbare alte Geige wurde versteigert. Den Zuschlag erhielt ein
österreichischer Aristokrat, der kurz darauf von einem aufgeregten
Mann besucht wird. Dieser Mann ist Schriftsteller und sein Interesse für
die Geige mit dem eigenartig geschmückten Wirbelkasten hat einen besonderen
Grund. Ein Jahr zuvor hatte ein gewisser Jenö Vargo auf eben dieser
Geige in einem Heurigenlokal in Grinzing aufgespielt. Das Spiel Vargos
stand im eklatanten Widerspruch zum Auftrittsort: Er spielte mit kaum zu
überbietender Meisterschaft, aber nur der Schriftsteller schien dies
seinerzeit angemessen würdigen zu können. Jenö Vargo, sichtlich
nicht mehr der Jüngste, erzählte daraufhin dem Schriftsteller
seine Lebensgeschichte, die einerseits die Abgründe einer obsessiven
Leidenschaft zur Musik entfaltete, andererseits eine geheimnisvolle Biographie
barg, die nur scheinbar die politischen Entwicklungen Anfang der dreißiger
Jahre ausblendete. Die sich mit jeder gespielten Note verzehrende Musik
gegenüber dem Wunsch nach Unsterblichkeit mündet zuletzt in einer
überraschenden Volte, die nicht von ungefähr ihren Hintergrund
vor Friedhof und psychiatrischer Anstalt findet.
Paolo Maurensig hat nach seiner bereits bemerkenswerten "Lüneburg-Variante"
mit DER SPIEGELKANON eine im besten Sinne klassische Novelle geschaffen.
Dank der ausgezeichneten Übersetzung erinnern manche Passagen über
die Mühen des Musikstudiums an Hesses "Glasperlenspiel". Fesselnd
bis zur letzten Seite wandelt sich hier eine alte Geige vom leblosen Objekt
zur sinnstiftenden Antriebskraft, die nur schwer zu bändigen ist.
Weitere Besprechungen zu Werken von Paolo Maurensig siehe:
Paolo Maurensig: Die Lüneburg-Variante (1994)
Paolo Maurensig: Spiegelkanon (1997)