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Lion Feuchtwanger wird durch das Klingeln des Telegrammboten in seinen Gymnastikübungen unterbrochen. Es ist das Jahr 1956 und der DDR-Minister für Kultur Johannes Becher hat ihn zum Staatsakt zu Ehren des gerade erst verstorbenen Bertolt Brecht eingeladen. Der Termin ist derart kurzfristig gesetzt, dass seine Teilnahme selbst bei bestem Willen nicht möglich gewesen wäre - wie Becher und Feuchtwanger gleichermaßen wissen. Die damit verbundene Nachricht vom Tode Brechts kommt jedoch für Feuchtwanger völlig unvermutet - der 14 Jahre jüngere Brecht schien ihm noch bei ihrer letzten Begegnung in Feuchtwangers Anwesen im Stadtteil Pacific Palisades von Los Angeles äußerst vital.
Klaus Modick, der über Lion Feuchtwanger promoviert hat, lässt ihn in seinem Roman "Sunset" Rückschau halten auf sein Leben in den USA zu Zeiten der McCarthy-Ära, den Beginn seiner Karriere als Schriftsteller gegen den Willen des Vaters und last, but not least den jahrzehntelangen intensiven Austausch mit Bertolt Brecht. Hierfür nutzt Modick kompetent das Wenige an zugänglichen Zeugnissen von und über Feuchtwanger und vermag es in eine überzeugende literarische Form zu gießen.
So gibt dieser Roman mit seinen Reflexionen und Anekdoten seiner Figur Feuchtwanger nicht nur Auskunft über historisch Nachweisbares sondern ist auch ein Text, der sehr einfühlsam das Denken und Fühlen eines Menschen nachzuvollziehen weiß, der nur zwei Jahre nach dem Tod Brechts selber sterben wird. (Mit dieser Art der Innenschau korrespondiert der Roman in Teilen auch mit der vorzüglichen, nahezu zeitgleich erschienenen Romannovelle Meine Krönung von Vèronique Bizot.)
Eine vielschichtige Zeitreise also, die viele prominente Namen anklingen lässt und deren wie auch der eigenen Vergänglichkeit Tribut auf hohem Niveau zollt. Ein echtes Leseerlebnis.