www.buechernachlese.de
|
Gilbert Kaplan soll mit seinen 89 Jahren für eine Forschungsarbeit aus längst vergangenen Zeiten eine bedeutende Auszeichnung erhalten. Worum es seinerzeit ging, weiß er gar nicht mehr. Schlimmer noch: Seit Bekanntwerden dieser Preisverleihung belagern und stören Journalisten seine gewohnten Abläufe. Wäre da nicht seine Haushälterin Madame Ambrunaz, die ihn vor sich und anderen schützte, die Tage wären kaum noch zu ertragen. Am Ende jedoch konfrontiert ihn gerade Madame Ambrunaz mit einer so unverhofften wie unabänderlichen Überraschung ...
Véronique Bizot legt mit "Meine Krönung" ein Kleinod innenperspektivischer Betrachtung aus der Sicht eines eigenwilligen Greises vor, der mit sich und seinem Leben eigentlich schon längst abgeschlossen hat. Ihr Gilbert Kaplan sieht sich durch die angekündigte Preisverleihung (Nobelpreis?) nun gezwungen, kleine Fluchten anzutreten, die für ihn zu entscheidenden Bewegungen mit letzten neuen Erkenntnissen werden. So trifft er auch auf seinen jüngeren Bruder wieder, auf dessen letztes erfolgreiches Werk als Schriftsteller er noch gar nicht reagiert hatte. Zwischen ihnen steht zudem seit Langem eine gemeinsame unglückliche Liebe zu einer Frau.
Das hinreißend Virtuose dieser offenbar kongenial übersetzten Innenbetrachtung ist die unverblümte Gleichrangigkeit von scheinbar Banalem wie das Einnehmen von Linsengerichten, die Madame Ambrunaz gleichsam als Allheilmittel gern und oft zuzubreiten pflegt, und den durch die jüngsten Ereignisse aufgewühlten Erinnerungen wie die gemeinsame Suche nach einer passenden Grabstelle oder die Sehnsucht nach seiner verschwundenen Schwester.
Kleinliches neben Großzügigem, Verbohrtes neben Zärtlichem haben somit als Basso continuo eine immer wieder aufblühende Situationskomik, die der scheinbaren Tragik des absehbaren Todes weit mehr als nur ein müdes Lächeln entgegensetzt. Sie entfaltet vielmehr im guten Sinne ein biblisches "lebenssatt".
Ein fein geschliffen wunderbarer Text also, der allen Generationen als Angst nehmendes Memento mori anzuempfehlen ist.
Aber warum "Meine Krönung" nun gerade mit dem Grand Prix du Roman ausgezeichnet wurde, bleibt unverständlich. Nicht die Auszeichnung an sich, der sich durchaus noch weitere anschließen sollten - aber die Gattungsbezeichnung "Roman", der sich auch der Verlag bedient, ist hier schlicht irreführend. Noch kurioser dabei der Umstand, wenn im Klappentext darauf hingewiesen wird, dass die Autorin nach mehreren Novellen mit diesem Werk nun ihr "Romandebüt" gegeben hätte. Denn dem Umfang, dem Erzählgrund und seiner Verdichtung nach wäre hier weit eher von einer "Erzählung" oder eben erneut von einer "Novelle" zu reden.
Aber dies nur nebenbei - solcherlei Etikettenwirrwarr hat ja nichts mit der unangefochtenen Qualität dieses vom Verlag ansonsten hübsch in Leinenbindung ausgestatteten Buches zu tun.
Weitere Besprechungen zu Werken von Vèronique Bizot siehe:
Vèronique Bizot: Meine Krönung (2011)
Vèronique Bizot: Eine Zukunft (2012)
Vèronique Bizot: Die Heimsucher (2015)
Vèronique Bizot: Menschenseele (2016)