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Bei einer Umfrage der BBC nach den fünf bedeutendsten Büchern des 20. Jahrhunderts landete 'Der Herr der Ringe' auf Platz Eins - für so manchen 'Großkritiker' ein weiteres Indiz seiner fehlenden literarischen Qualität. Tom A. Shippey jedoch geht in seinem Vorwort zu 'J.R.R. Tolkien - Autor des Jahrhunderts' davon aus, dass der vorherrschende literarische Modus im zwanzigsten Jahrhundert der des Phantastischen war und reiht den 'Herrn der Ringe' u.a. neben Orwells '1984', Goldings 'Herr der Fliegen' und Vonneguts 'Schlachthof 5' ein. Ferner vermutet er, dass 'künftige englische Literaturkritiker, die nicht mehr im Gezänk unserer Gegenwart befangen sind', besagte Titel 'als die repräsentativen und herausragenden Werke' für dieses Säkulum ansehen werden. Und im Gegensatz zu jenen Kritikern weiß er seine Einschätzungen auch buchstäblich Wort für Wort zu untermauern. Nicht nur dass er Tolkien noch persönlich gekannt hatte, Shippey ist wie Tolkien Mediävist und war Nachfolger auf dessen Lehrstuhl an der Universität von Leeds. Das erlaubt ihm in besonderer Weise, den Antrieben und Hintergründen für die Verfasstheit der Werke Tolkiens auf die Spur zu kommen, ohne dabei nun in Allem dessen Meinung, Geisteshaltung oder gar Religiösität zu teilen.
So veranschaulicht er im ersten Kapitel, inwiefern 'Der Hobbit' die Rekonstruktion einer Welt darstellt, in den Kapiteln II bis IV u.a. den Handlungsplan, die Auffassungen des Bösen sowie die mythische Dimension in 'Der Herr der Ringe'. Im fünften Kapitel wird 'Das Silmarillion' als die seinen anderen Werken zu Grunde liegende 'Herzensache' Tolkiens vorgestellt und im sechsten geht Shippey auf die kürzeren Werke ein, die nicht zuletzt auch Autobiographisches von Tolkien dokumentieren. Das Nachwort schließlich behandelt 'Die Nachfolger und die Kritiker', worin er sogar einen luziden Vergleich zwischen Tolkien und James Joyce wagt.
Fazit: Dieses Buch ist eine wahre Fund- und Erkenntnisgrube. Insbesondere (aber nicht nur) die für Tolkien ausschlaggebende Wort- und Sprachverliebtheit vermag Shippey auf höchst geistreiche wie unterhaltsame Weise mit seinen linguistischen Gegenüberstellungen, Vermutungen und Weiterungen zu belegen - das könnte (und sollte) Kritikern auf die Sprünge helfen, vermag aber gerade auch die Begeisterung der längst überzeugten Leser im besten Sinne des Wortes zu vertiefen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Tom A. Shippey siehe:
Tom A. Shippey: Der Weg nach Mittelerde
Tom A. Shippey: J.R.R. Tolkien - Autor des Jahrhunderts