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Lina hat der zugelaufenen Katze Curry versprochen, bei ihrer Abfahrt etwas
besonderes zum Fressen zu spendieren. Als Lina von ihrer Mutter mit einem
'Currys Hühnchen ist fällig!' begrüßt wird, ist die sechzehnjährige hin und her
gerissen. Denn die Abfahrt ihrer Familie ist die Flucht aus einem nicht nur für
Menschen jüdischen Glaubens unerträglich gewordenen Irak Ende der 60er.
Zurückgelassen und weitaus unter Wert verkauft werden nicht nur viele
liebgewordene Gegenstände, sondern vor allem auch die Erinnerungen an eine
nichtsdestotrotz unbeschwerte Kindheit, die jedoch mit zunehmenden Alter immer
mehr von den grauen VW-Käfern der Geheimpolizei bestimmt wurde.
Mona Yahia
versteht es in ihrem Romandebut wunderbar, die Ballance zwischen traumhaft
schönen Kindheitssequenzen und dem unverhofft einbrechenden Schrecken durch eine
per 'Revolution' einmal mehr ausgewechselte Regierung zu halten. Bei ihr nun
gleich an Salman Rushdie zu denken, wird ihr jedoch nicht gerecht. Weitaus
interessanter ist da der Vergleich zwischen ihr und dem 1995 vorgelegten Roman
'Victoria' von Sami Michael (s. Rezension), worin eine alte jüdische Frau auf
das Leben im Bagdad der 20er Jahre zurückblickt. Im Gegensatz zu ihr wächst Lina
in einer modernen, fast schon säkularen Familientradition auf, die auch für
westliche Kultureinflüsse ganz selbstverständlich offen ist. Umso größer
womöglich denn auch die Angst vor dem sich abzeichnenden Radikal-Islamismus mit
seinen entsprechenden Rollenzuweisungen für Frauen. Auch wenn sich Geschichte
nicht in allen Einzelheiten wiederholt, erschrecken insbesondere die
Schilderungen, wonach Juden immer wieder als politische Sündenböcke für das
unmündig gehaltene, leicht zu fanatisierende irakische Volk herhalten müssen.
Die stets präsenten grauen VW-Käfer wecken denn auch Assoziationen mit den
Verfolgungen durch die Gestapo. Juden wurden reihenweise ohne Angaben von
Gründen festgenommen und willkürlich erst nach Wochen freigelassen. Nicht selten
auch wurden ihre Leichen vor den Volksmassen aufgehängt, nachdem sie zuvor aufs
Grausamste gefoltert worden sind. Noch erschreckender womöglich ist jedoch, dass
die westliche Welt im Zeitalter des ersten Mondfluges davon nur kaum etwas
mitbekam oder auch nur mitbekommen wollte.
Doch ohne auch nur ein Detail zu
verharmlosen, verstehen Mona Yahia und ihre Übersetzerin Susanne Aeckerle es
vorzüglich, selbst solche Passagen einer faszinierend melodiösen Sprache
unterzuordnen, die einen von der ersten bis zur letzten Seite in Bann hält.