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In der nördlichen Küstenregion Englands, genauer gesagt, im Felling der 60er Jahre sind Davie und seine Freunde dabei, ihrer Kindheit zu entwachsen. Noch pflegen sie ihre Geheimverstecke, raufen sich nach festgelegten Ritualen mit Gegnern aus der Nachbarschaft und rauchen heimlich den Eltern entwendete Zigaretten, was samstags dann wiederum Pater O'Mahoney gebeichtet wird. Und da Davie und sein bester Freund Geordie Craggs nicht nur sonntags sondern auch bei Beerdigungen und Hochzeiten ministrieren, scheint alles inklusive einzustreichenden Trinkgeldern in guter Balance zu sein. Doch seit Mouldy mitmischt, machen die Raufereien keinen Spaß mehr - Mouldy ist meist betrunken, überragt alle anderen um Haupteslänge und schlägt brutal zu. Davie und Geordie haben sich bereits darauf eingerichtet, Mouldy tagsüber auszuweichen und nachts von seinem Tod zu träumen. Als ein fremder Junge namens Stephen auftaucht, scheint sich jedoch eine Lösung anzubahnen. Stephen vermag aus Tonerde nahezu lebensechte Figuren zu gestalten, ja er behauptet sogar, sie zum Leben erwecken und seinem Willen unterwerfen zu können. Alles nur Quatsch? Nachdem Mouldy tot aufgefunden wird, will Davie seiner ersten heimlichen Liebe Maria von den Erlebnissen mit Stephen erzählen - aber er weiß nicht, wie ...
Der Vorgängerroman Feuerschlucker von David Almond wurde immerhin schon für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert, "Lehmann oder Die Versuchung" dürfte den Preis nun auch tatsächlich erhalten. In der erneut äußerst einfühlsamen Übersetzung von Ulli und Herbert Günther breitet der englische Autor eine Gefühlslandschaft existentieller Bedrohung aus, die Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen anzurühren vermag.
Almond, laut Klappentext 1953, nach diversen Internet-Quellen im Jahr 1951 geboren, greift eine Situation auf, die nahezu alle Kinder und Pubertierenden irgendwann einmal zu überstehen haben: Da ist dieses Monstrum in der Nachbarschaft, zumeist in der Gestalt eines Testosteron übersättigten, von kognitiver und emotionaler Intelligenz aber kaum erhellten Jungen, der seine Umgebung mit dem blanken Faustrecht drangsaliert. Freundlich zureden, sachlich diskutieren, aus dem Weg gehen, beten - nützt alles nichts, so ein Junge findet seine Opfer stets dann, wenn sie am hilflosesten sind und nutzt das jedes Mal schamlos aus. Und die Hintergründe für die beschränkte Argumentationsweise eines solchen Jungen sind für seine Opfer kaum von Interesse, ist dieser Junge doch der Grund dafür, dass sie selbst zuweilen jede Freude am Leben verlieren und dafür ja auch keine verständnisvollen Ansprechpartner finden - nicht zuletzt damals, als man gewisse Dinge noch unter dem Rubrum der "Ehre" allein und "unter sich" auszufechten hatte.
Almond hat seine Geschichte erneut in die Zeit und das Umfeld seiner eigenen Kindheit und Jugend angesiedelt. Seine Protagonisten sind überzeugende Identifikationsfiguren und sprengen dennoch jede einfache Typisierung. Alle miteinander werden zu Teilhabern der universellen und zeitlosen Umbruchssituation des Ich-Erzählers, die der Autor auf höchst originelle, jedoch nur in Maßen tröstliche Weise aufzulösen versteht. Ist das Glaubenwollen an Magie Kennzeichen der Kindheit, so zeichnet sich die Pubertät insbesondere durch Skepsis an allem Althergebrachten aus - diesen Spannungsbogen zieht Almond bis zum Anschlag durch und zeigt am Ende auf, wie leicht man trotz wachsender Skepsis zum Opfer eines "Zauberers" werden kann, wenn einen die Angst am Denken hindert.
Aber letztlich will Almond bzw. Davie "nur eine Geschichte erzählen, nicht mehr" - das klingt fast wie Stephen King, ist aber besser, weil bis zur letzten Seite so plausibel wie überragend, dass an ihr gleich drei Generationen ihre mehr als anregende Unterhaltung finden können.
Weitere Besprechungen zu Werken von David Almond siehe:
David Almond: Feuerschlucker (2005)
David Almond: Lehmann oder Die Versuchung (2007)
David Almond: Heaven (2017)