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Das zweite Buch von Jan Peter Bremer, DER PALAST IM KOFFER, entzieht
sich jeder Etikettierung. Diese Groteske von Beckettschen Zuschnitt enthält
keine Geschichte, die man nacherzählen könnte, sondern wirkt
durch austauschbare Figuren, die der Leser mit eigenen Erinnerungen und
Wertungen befrachten kann - oder auch nicht. Im Tonfall einer griechischen
Tragödie mit ironischen Brechungen treibt der junge Berliner Autor
ein Vexierspiel, in dem er eine dialogische Betrachtung zwischen "einem
Reisenden" und "den Wanderen" von ein bis zwei Seiten über
die nachfolgenden gut 80 Seiten immer wieder neu durcheinanderwürfelt.
Der Dialog setzt sich neben den Unterschieden von Reisen und Wandern im
eigentlichen und metaphorischen Sinne auch mit "der Mutter", "dem
Vater" und dessen Hund auseinander. Die direkte Rede zwischen den Protagonisten
wechselt in indirekte, Vater und Mutter zitierende Rede, wechselt vom bestimmenden
Indikativ zum unbestimmend "möglichen" Konjunktiv, bei dem zuletzt
einer auf der Strecke bleibt. Wer, das muß der Leser bestimmen, da
nach Bremer jeder jedes Rolle übernehmen kann oder übernommen
hat. Der Verweis auf Beckett meint auch die Möglichkeit, dieses Literatur-Stück
auf der Bühne zu inszenieren. Je nach Regie könnte daraus ein
Psychodrama oder eine bitterböse Satire auf das Verhältnis der
Menschen zur Bewegungslosikeit werden. Der Lyrik näher als der Prosa,
würde der Zuschauer in beiden Fällen zum Nachfühlen einer
Aggressionsaufwallung unter Gehemmten angeleitet, verführt, gezwungen...
Gehemmte, die sich, je weiter sie sich paradoxerweise auf dem einen Fleck
ihrer Sprachlosigkeit voneinander entfernen, umso mehr ihre enge Verwandtschaft
zueinander aufdecken. Tatsächlich ist die Rolle des Lesers vor diesem
vom Verlag kongenial ausgestattetem Buch eher die eines Betrachtenden.
Andy Warhols serielle Bildserien einer Monroe oder eines Mao bieten sich
vielleicht zum Vergleich an: Für den einen ein Kunststück, für
den anderen ein Gebrauchsstück für den dritten ein Wegwerfstück
- in jedem Fall der Auseinandersetzung wert!
Weitere Besprechungen zu Werken von Jan Peter Bremer siehe:
Jan Peter Bremer: Der Palast im Koffer (1992)
Jan Peter Bremer: Der amerikanische Investor (2011)