buechernachlese.de
|
Daß Henryk M. Broder seinem Sammelband den etwas beziehungslosen
Titel VOLK UND WAHN vorangestellt hat, ist vermutlich von ungewollter Redlichkeit.
Lautete er "Wahnsinniges Volk" oder "Völkischer Wahnsinn",
wäre Broder das Mittel des Rundumschlags versagt gewesen, und er hätte
seine höchst beredte Polemik mit einer differenzierteren Sicht der
Dinge drosseln müssen. So aber vermag er sich über die bigotten
Selbstzeugnisse der "Gutmenschen" im TV aufzuregen, um dann selber
wieder als nicht greifbarer Über-Nörgler vom Dienst durch die
Talkshows gereicht zu werden. Seine in sieben Kapiteln gehäufelten
38 Artikel (13 davon waren bereits u.a. im Spiegel abgedruckt) setzen sich
mit dem Phänomen des Nachwende-Deutschlands, dem Pazifismus der Friedensbewegung
und der Holocaust-Denkmal-Debatte auseinander. Wenn Broder die Mechanik
eines Selbstläufers schildert, z.B. die inzestiösen Praktiken
beim Erich-Fried-Preis, haut es einen fassungslos gackernd unter den Tisch.
Wenn er aber über die hilflosen Debatten der Friedensbewegung räsoniert
und ihr angeblich wirkungsloses Verhalten ins III. Reich überträgt,
unterschlägt er nicht nur Stimmen wie seinerzeit Joschka Fischer,
sondern die Miterwägung einer Wir-sind-wieder-wer-Bundesregierung,
deren Bundeskanzler er an anderer Stelle ja durchaus vorzuführen weiß.
Als Kommentare im journalistischen Sinne taugen diese Artikel deshalb nur
selten, aber als glanzvolle Kabinettstückchen des Grotesken sind sie
ein schwarzhumorig schillender Genuß.
Weitere Besprechungen zu Werken von Henryk M. Broder siehe:
Henryk M. Broder: Volk und Wahn (1996)
Henryk M. Broder: Die Irren von Zion (1998)