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Karen Duve macht von Januar bis Oktober 2010 im Zwei-, Dreimonatstakt einen Selbstversuch: Zuerst kauft sie nur noch "Bio"-Lebensmittel, dann isst sie ausschließlich vegetarisch, um das noch zu steigern bzw. zu unterbieten durch verschiedene Abstufungen des Veganischen und zuletzt auch noch die Lebens- bzw. Essensweise von Frutariern zu testen.
Die Hamburger Schriftstellerin hat zuvor vier sehr unterschiedliche Romane veröffentlicht, von denen drei durchweg zu überzeugen vermochten. Einer davon - Dies ist kein Liebeslied - hatte bereits das Essen im Zusammenhang mit Liebesbeziehungen und den dadurch bedingten Wandlungen eines Frauenkörpers zum Thema. Ihr neues Werk "Anständig Essen" hat damit nichts zu tun, ist jedoch nicht minder überzeugend. Allein schon als Sachbuch ist es bemerkenswert, basieren doch die Selbstversuche auf umfangreichen, im Text angeführten und im Anhang noch um Einiges erweiterten Rechercheergebnissen. Und das, was sie nicht erfahren oder verstehen konnte, benennt Duve erfrischend klar und deutlich.
Doch was all denen nicht schmecken wird, die mit diesen Lebensweisen zugleich das Verkünden von Heilslehren und eigener besserer Moral verbinden, ist die Erdung dieser Recherchen und Selbsterfahrungen durch "köstlichen" Humor und - noch schlimmer! - unwiderstehliche Selbstironie. Und damit ist dieses Buch in jedem Fall auch Belletristik vulgo "Schöne Literatur", die auf dem Seil tanzt und der es bis einschließlich des Fazits am Ende des Buches gelingt, die Balance zu halten. Dass sich die Autorin hier zu einem eigenen Weg bekennt, der sich (vorerst) irgendwo am Rand der Mitte bewegt, ist nicht nur ihr gutes Recht sondern schützt sie auch vor Vereinnahmung und nötigt die Leser zum Selberdenken.
Denn je strikter und mit guten Gründen enthaltsamer das Essen wurde, umso einsamer waren und wurden die Verfechter dieser Lebensweisen. So ist es auch kaum verwunderlich, dass im Buch Familien mit Kindern nur en passant als Anhang der Autorin vorkamen.
Nichtsdestotrotz sind die in diesem Selbstversuch aufgeworfenen Fragen und darauf gefundenen Antworten an keiner Stelle denunziert worden. Und so lässt sich bei allem Witz und treffsicherer Pointierung zuweilen absurd erscheinender Rücksichtnahmen wie der vor Kartoffeln das (schlechte) Gewissen keineswegs so einfach abschütteln. Gedankenlos weiter vor sich hin essen, ist nicht mehr. Also Obacht, ob nun schlagartig oder schleichend - die Lektüre dieses Buches könnte tatsächlich Ihr Leben verändern ...
Weitere Besprechungen zu Werken von Karen Duve siehe:
Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied (2002)
Karen Duve: Die entführte Prinzessin (2005)
Karen Duve: Taxi (2008)
Karen Duve: Anständig essen (2011)
Karen Duve: Grrrimm (2012)