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"Ich wäre ein Zauberer hat er immer gesagt, ein Magier. In ganz
grauen Vorzeiten kam einer und suchte einen Platz, einen magischen, einen,
an dem die Zauberer sich ansiedeln konnten, um Magie zu treiben."
Dieses Zitat, das mit dem Titel DIE EINSAMKEIT DES ZAUBERERS korrespondiert,
ist eine der wenigen Reflektionen auf die Vergangenheit Brekkers, eines
gebürtigen Deutschen, der unbedingt nach Amerika wollte und sich dort
mehr und mehr seinem Wahnsinn ausgeliefert hat - Wahnsinn im Sinne eines
möglichen klinischen Befundes.
Es beginnt mit einer 8-seitigen Einleitung von Valerie Simons, Brekkers
US-amerikanischer Ehefrau. In ihr ist das Ende, nämlich Brekkers "Implosion",
schon vorweggenommen.
"Er haßte Deutschland. Alles, was mit Deutschland zu tun hatte.
Traf er andere Deutsche - was er meist vermied - so sprach er mit ihnen
kein Deutsch."
Valerie stellt fest, daß ein Deutscher wie Brekker im Gegensatz
zu den anderen Immigranten "amerikanischer als wir werden und gleichzeitig
kritischer und vernichtender in ihrem Urteil über die Lebensbedingungen"
sind.
Was eine/n dann das Buch in einem Zuge auslesen läßt, ist
mit "Roman" ungenau erfaßt. Es ist das Protokoll eines Mannes,
der verzweifelt das Jetzt mitzuschreiben versucht, bei jeder sich bietenden
Gelegenheit Aufzeichnungen über das gerade Erlebte, Gesehene oder
Gedachte führen muß, da er in der berechtigten Angst lebt, daß
alles ihm zu entgleiten droht. So schickt er sich auch von seinen Spaziergängen
durch die numerierten Avenues New Yorks Postkarten.
"Ich brauche die Bilder, die Postkarten, die Notizen, die dazu passen,
zu dem Geschriebenen. Das ist alles zu unbeholfen, so vage, daß ich
nichts nehmen kann, wie es ist. Da ist anderes dahinter, Wirklicheres,
das weiß ich genau. Aber anfassen kann ich das nicht. I can feel
that."
Nach der Einleitung gibt es für die Leser keinen Halt mehr, sie
werden von Brekkers ängstlich-aggressiver Sicht der Welt mitgerissen,
die sich zuletzt in extremen Verfolgungswahn und dem Verlust zeitlicher
und räumlicher Bezugspunkte verengt. Diese Beengung zu schildern,
zu einem glaubhaften Ich-erlebnis zu gestalten, ist dem Autoren Herbert
Genzmer vollkommen gelungen, er bewies darin meisterhaftes Genie.
Dieses Protokoll wird zum Nachweis für das, was im Extremfall
geschieht, wenn einer seine (deutsche) Vergangenheit nicht mehr bewältigen
kann oder will. Nach Genzmer sind wir Deutschen, ganz egal welcher Generation
wir angehören, offensichtlich gar nicht in der Lage, ganz von vorn
mit einer Stunde Null anzufangen, selbst wenn wir es wollen. Unser Gemüt,
unsere scheinbar geradezu psychogenetische Sehnsucht nach der Gemütlichkeit
des Reflektierens und Spekulierens gedeiht für uns nur im Dreiklang
der Zeiten. Wer sich dem Horror Brekkers aussetzt, vermag sehr gut Rückschlüsse
auf das Innenleben jener zu ziehen, die sich in den Nischen der Teilamnesie
wie Platzhirsche aufführen.
Brekker wäre aber kein Deutscher, wenn seiner Penibelität
nicht auch eine gewisse Größe innewohnen würde. Das Jetzt,
dieses verengte Außen Brekkers wird bis ins letzte Detail genau wahrgenommen
und hinterfragt. Mögen Brekkers Schlußfolgerungen z.T. lediglich
seine Verwirrung belegen - wobei natürlich aufschlußreich ist,
an welchen Stellen diese Verwirrung greift - so sind seine Beobachtungen
doch auch Zeugnis einer objektiv schrecklichen Welt, für deren Wahrnehmung
der "gesunde" Verstand bewußt oder unbewußt das Sensorium
abstumpfen läßt. Die Stadt New York ist dafür ein präzis
gewählter Contrapunkt, wird sie doch von vielen Deutschen angehimmelt
und ob ihrer Leichtigkeit des Seins verklärt.
Herbert Genzmers neuestes Werk ist ein gewagter, gelungener Sprung
ins Ungewisse, der aller Beachtung wert ist.
Weitere Besprechungen zu Werken von Herbert Genzmer siehe:
Herbert Genzmer: Die Einsamkeit des Zauberers (1991)
Herbert Genzmer: Das perfekte Spiel (2012)