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Günter Grass macht's noch einmal.
Mit "Grimms Wörter" legt er "Eine Liebesklärung" vor, die im "Druckfrisch"-Interview mit dem Autor - nach "Beim Häuten der Zwiebel" und "Die Box - Dunkelkammergeschichten" - zugleich als dritter und letzter Teil einer autobiographischen Reihe vorgestellt wurde. Eine eigenartige, auf dem Buch nicht ausgewiesene Zuordnung, die entweder zu kurz greift, da Grass sich in vielen seiner Titel bereits auf ähnliche Weise auktorial eingebracht hat - oder zu weit, denn im engeren, unverstellten Sinn Autobiographisches ist weit eher in seinen Briefwechseln oder auch sogar in seiner letzten Tagebuchveröffentlichung "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland" nachzulesen als nun gerade in dieser Neuerscheinung.
Tatsächlich stehen in diesem sehr ansprechend ausgestatteten Buch die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und eine Auslese der von ihnen für das "Grimmsche" bzw. "Deutsche Wörterbuch" gesammelten Stichwörter im Vordergrund, nehmen gut zwei Drittel des gesamten Textes ein. Und wer "Ein weites Feld" wegen seiner ausdrucksstarken Sprachregelung zu schätzen wusste, wird auch hier von klingenden, gekonnt nachgeschmeckten Worten und Sentenzen eingefangen, welche zugleich dem sich in einem einzigen Protest standhaft zeigenden, ansonsten aber durchweg herrschaftlicher Ordnung zugeneigten Brüderpaar und ihrem gemeinsamen Schaffen auf den Grund gehen.
Dazwischen fügen sich allerdings als weiteres Drittel den Grimmbrüdern aufgedrängte Gespräche mit seinen in die Jetztzeit ragenden Kommentaren, die nicht selten sehr pointiert und den Nagel auf den Kopf treffend sich auch leider viel zu selten nicht unterstehen, das Hohe Lied auf den Propheten Günter Grass zu singen.
Insbesondere im Kapitel "C - Die Cäsur", worin Grass geradezu genussvoll alle heutigen K-Wörter wie Capital und Critik mit dem tatsächlich oder auch nur vorgeblich seinerzeit gebräuchlichen "C" vorweg ausschreibt. Die unglücklich hellsichtige Kassandra ist jedoch griechischen Ursprungs und korrekt somit schon immer mit einem "K" vorneweg zu schreiben gewesen - Grassens Reminiszenzen an sie verschaffen jedoch nach langem vergeblichen Bemühen um einen plausiblen Zugang seines Klagens endlich Klarheit: Grass wollte all die Jahrzehnte seines Schaffens gar nicht als höchst erfolgreicher und nobilitierter Schriftsteller wahrgenommen werden, sondern als Prophet - natürlich nicht im biblischen Sinne, dann wäre ja noch Gott über ihm und seinen Erkenntnissen zu suchen gewesen.
Und was den einleitend erwähnten bzw. im Interview als neu behaupteten autobiographischen Aspekt angeht, bezöge der sich hier denn auch auf die angeblich in den vorangegangenen Werken vernachlässigte Erörterung seiner nicht genügend anerkannten Impulssetzungen und Rolle als Mahner des Volkes und dessen politischen Vertretern. Kein Wunder, dass ihm beim Beleuchten der Stichwörter unter dem Buchstaben "A" das Vielen doch sehr gegenwärtige und hierzu passende Loriot'sche "Ach?!?" ebenfalls entgangen ist ...
Sei's drum, solcher Vanitas beizukommen ist nicht die Aufgabe eines Rezensenten, schon gar nicht bei einem alt gewordenen Autor, der aus ihr en passent bis heute so viel kreative Tatkraft zu schöpfen vermag. Insofern sei auch diese Besprechung als weitere kritische Liebeserklärung an den Schriftsteller Grass verstanden, dem das Andere nun mal als offenbar überlebensnotwendige Exzentrik zuzurechnen und zuzugestehen ist. Und das überwiegende Mehr an schöner Literatur in diesem Buch ist immer noch lesenswerter, als so manch anderes hierzulande Publiziertes.
Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass