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Die fünf Repräsentantinnen der fünf Bezirke von New York City wurden nicht öffentlich von deren Bürger:innen gewählt, vielmehr passierte es ihnen einfach, dass sie zu Avataren bzw. zur jeweiligen Verkörperung und seelischen Quersumme eines Bezirks gemacht wurden. Ohne dass sie jemand vorher gefragt hätte oder sie wissen, wie sie die Kräfte bekämpfen sollen, die dem Bezirk, ja der ganzen Metropole mit immer mehr Erfolg die Lebenskraft zu entziehen suchen. Immerhin vier Avatare leisten noch gute Abwehr: Manny in Manhattan löst Probleme mit Geld, in Brooklyn hört eine ehemalige Rapperin den Beat der Stadt und die Kuratorin einer Gemeindegalerie in der Bronx beweist, dass sich dieser Bezirk noch nie etwas hat gefallen lassen und Queens weiß sich alsbald auch zu wehren. Aber was ist mit Staten Island los?
N. K. Jemisin hat mit "Die Wächterinnen von New York" den beeindruckenden Startband einer Trilogie vorgelegt, die der Science-Fiction erneut ein literarisches, hier sogar ein nahezu lyrisches Glanzlicht aufsetzt.
Waren in ihrer Vorgänger-Trilogie Die große Stille die Zeitebenen nicht eindeutig, aber die Rollen der Handlungsträger klar definiert, wissen die Hauptfiguren hier erstmal gar nicht, wie und was ihnen geschieht. Für die Leserschaft bedeutet das anfangs entsprechend weniger Handlung und dafür - im Sinne der Lyrik - eine aus Sicht der Autorin emotionale Einordnung besagter Avatare, die zugleich für die New Yorker Stadtbezirke stehen sollen. Für Einheimische gewiss, ist das aber auch für noch nie dort gewesene durchaus interessant, denn Jemisins Figuren sind nicht einfach behauptet, sondern mit in sich so plausiblen wie konsistenten Geschichten aufgebaut. Insofern ist die Anmerkung, von wegen "weniger Handlung" nur im Sinne einer linearen Romanhandlung zu verstehen und nicht, dass da etwa nichts passieren würde. Im Gegenteil. Die außerirdische Bedrohung der Stadt bekommt Gesichter, die unter die Haut gehen und deren Wesensformen breiten sich bereits immer mehr in der Stadt aus - insbesondere in Staten Island …
Im Original 2020 veröffentlicht, sollte bei der Lektüre bedacht werden, dass seinerzeit noch ein gewisser Trump US-Präsident war - und ohne ihn namentlich zu nennen, setzt die Autorin mit diesem Roman auch gegen ihn ein wunderbares, literarisches Zeichen. Wer New York mal ganz anders als buchstäblich lebendige Stadt und Metropole kennenlernen will, darüber hinaus Science-Fiction und gute Literatur schätzt, kommt an diesem Buch nicht vorbei! Und wird am Ende auch gespannt auf seine Fortsetzung sein …
Weitere Besprechungen zu Werken von N. K. Jemisin siehe:
N. K. Jemisin: Die große Stille Bd. 1-3 (2018-2020)
N. K. Jemisin: Die Wächterinnen von New York (2022)