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Eine neue Fünftzeit droht, in der auf dem Kontinent "Die Stille" nur überlebt, wer auf geheime Vorräte zurückgreifen kann. Doch für Essun ist das kaum noch von Bedeutung - sie ist auf der Suche nach dem Vater ihrer beiden Kinder. Eines davon hat er getötet, das andere entführt. Sie will ihr Mädchen wiederhaben und sich an dem Mörder ihres kleinen Jungen rächen, der wie sie ein Orogene war. Orogene werden von allen "Stillen" gefürchtet, weil sie nicht nur ihre Umgebung vereisen, sondern auch Erdbeben auslösen und damit (meist unabsichtlich) Menschen töten können. Was die meisten Stillen nicht wissen, dass ausgebildete Orogene vor allem Erdbeben verhindern. Aber Essun ist das egal, sie will den Mörder ihres Sohnes finden …
"Zerrissene Erde", im Original u.a. ausgezeichnet mit dem HUGO-Award, ist der erste Band einer Trilogie von N. K. Jemisin - und liegt nun (endlich!) in einer sehr gelungenen Übersetzung von Susanne Gerold vor.
Allein schon mit diesem Band ihrer Endzeit-Saga hat die Autorin jede Genre-Verengung gesprengt. Fantasy? Science Fiction? .. Literatur? Alles zusammen und davon nur das Beste!
Die Perspektive Essuns, die als einzige den Leser mit "du" anspricht, wird noch ergänzt von den Perspektiven zweier Frauen, die eine noch ein Mädchen, die andere älter als Essun. Neben den Stillen und Orogenen (verächtlich Roggas genannt) gibt es noch Steinmenschen und seltsame Erscheinungen wie schwebende Obelisken. Und das in einer Welt, deren Erdkruste immer wieder auseinanderzureissen und mit der Lava giftige Dämpfe und den Himmel verdunkelnde Rauchwolken auszustoßen droht.
Mit all dem spielt die Autorin in einer sehr eingängigen, geradezu poetischen und einen sofort einnehmenden Sprache, die oft auch neue, aber stets treffende Sprachbilder einzusetzen weiß. Deshalb zwar nicht wirklich zwingend notwendig, werden in zwei Anhängen eine über den Band hinausgehende Chronik früherer Fünftzeiten nebst Erläuterungen gelistet sowie ein Glossar für Begriffe wie "Orogene". Den Anfang illustriert auf einer Doppelseite eine Karte vom Kontinent "Die Stille".
So stringent die einzelnen Erzählstränge sind, weiten sie den Blick auf eine immer komplexer erscheinende Welt und liefern so auch immer wieder überraschende Volten - bevor hier gespoilert wird, deshalb gleich an dieser Stelle die dringende Empfehlung: Selber lesen!
Und die Frage: Wann folgen die beiden anderen Bände??
Ein Überleben auf dem Kontinent "Die Stille" scheint immer fraglicher.
Essun sucht noch immer nach ihrer Tochter Nassun, die ihr Mann entführt hat, kurz nachdem er zum Mörder ihres gemeinsamen Sohnes wurde - denn er hasst alle Orogene, die nicht nur ihre Umgebung vereisen, sondern auch Erdbeben auslösen und damit (meist unabsichtlich) Menschen töten können. Sollte Essun wieder auf ihn treffen, wäre sein Schicksal besiegelt. Gefunden wurde Essun hingegen von dem sich versteinernden Alabaster Tenring, einem Orogenen mit 10 Ringen, der die Zerstörung der Welt eingeleitet hat - und Essun hierfür um Unterstützung bittet.
Weit entfernt von Essun schlägt sich ihre Tochter Nassun mit dem Vater durch. Doch für ihn sind ihre zunehmenden, jedoch nicht von einem Fulcrum ausgebildeten Orogene-Fähigkeiten bald nicht mehr länger zu übersehen - und zu ertragen. Nassun wächst zu einer Orogene heran, die womöglich noch machtvoller als ihre Mutter wird ...
Mit "Brennender Fels" wird von N. K. Jemisin der zweite Band ihrer preisgekrönten Romantrilogie Die große Stille vorgelegt. Wer den ersten Band "Zerrissene Erde" gelesen hat, wird sich auf jeden Fall auch diesen zu Gemüte führen wollen - er hält auch dank der erneut gelungenen Übersetzung von Susanne Gerold das im besten Sinne Genre sprengende Niveau. Aber seine Lektüre wird den Lesern nicht leicht gemacht. Zwei Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes, knüpft der zweite bruchlos daran an, wo der erste geendet hat. All die bewusst erst aufgeteilten Erzählstränge des ersten Bandes sind nun zwar auf nur noch zwei "reduziert", doch die Begrifflichkeiten sind sehr speziell und die Auseinandersetzungen dieser Welt bleiben hochkomplex und eigentlich nur bei einem Hintereinanderweglesen beider Bände von Anfang an nachvollziehbar. Nach zwei Jahren aber ist das Wiederhineinfinden etwas mühsam.
Deshalb sobald der dritte Bande "Steinerner Himmel" vorliegt, am besten gleich alle drei Bände bestellen - und lesen, lesen, lesen …
Und dann kommt es im dritten Band "Steinerner Himmel" von N. K. Jemisin ganz anders als gedacht!
So erweisen sich u.a. die sogenannten "Steinesser" als machtvoller und für die Auflösung der Geschichte weit bedeutender, als zuvor gedacht. Zudem beruht die ganze Trilogie trotz ihrer Phantastik auf einem autobiographischen Kern, dessen Bekenntnis auf der letzten Seite mit den Danksagungen der Autorin durchaus nachvollziehbar ist - aber erst dann.
Jetzt, wo alle drei Bände in deutscher Übersetzung vorliegen, kann deren Lektüre nur umso nachdrücklicher empfohlen werden - gerade in Corona-Zeiten eine wohltuend gehaltvoll unterhaltsame Alternative zum "Binge Watching" meist unausgegorener Fernseh-Serien lässt einen hier "Binge Reading" gar nicht erst den Faden in diesem äußerst komplex und mehrlagig gewebten Erzählteppich verlieren.
Und am Ende scheint Manches, das unsereins derzeit bedroht oder lästigfällt, wirklich nur noch sehr relativ …
Weitere Besprechungen zu Werken von N. K. Jemisin siehe:
N. K. Jemisin: Die große Stille Bd. 1-3 (2018-2020)
N. K. Jemisin: Die Wächterinnen von New York (2022)