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Im Vorgriff auf den 100. Geburtstag Erich Kästners legt der Schweizer Atrium Verlag wieder DIE KONFERENZ DER TIERE vor. Die mittlerweile bibliophile Originalfassung mit den berühmten Illustrationen von Walter Trier feiert nächstes Jahr ebenfalls Jubiläum. Die Wiederbegegnung mit dieser nun knapp 50 Jahre alten Lektüre ist jedoch ambivalent:
Während die Zeichnungen Triers durchaus noch überzeugen, hat Kästners Text schon einigen Staub angesetzt, der höchst bedenklich stimmt - nicht wegen seiner intendierten Grundaussage, aber wegen der seinerzeit noch ohne Weiteres hingenommenen Form der Sprachregelung und der wie mit der Brechstange hingebogenen Lösungsansätze.
Das Sich-nicht-einigen-können-und-wollen der Erwachsenen scheint von zeitloser Gültigkeit zu sein, aber die von Kästner dagegen gefundenen Maßnahmen der Tiere entsprechen keineswegs mehr den Maßstäben so genannter 'Political Correctness'. So senden die Tiere "natürlich" nur männliche Vertreter aus und führen als Ehrengäste unter anderem auch ein 'Negerkind' auf. Auf die Spitze getrieben wird das Ganze jedoch mit dem letzten 'Ultimatum' der Tiere, um die Staatspräsidenten und Generäle von der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu überzeugen. Dieses Ultimatum, von einem Kinderbuchautor der Gegenwart verbreitet, würde beim heutigen Lesepublikum auf einigen Widerspruch stoßen: Eine Entführung von Kindern ist auch mit den besten Absichten nicht zu legitimieren - und war das eigentlich zu keiner Zeit.
Eltern hätten beim Vorlesen also einiges zu überlesen und neu zu erfinden. Zum Selberlesen ist dieser Bilderbuchklassiker wegen seiner ungefilterten Sprachregelung und den ironisierenden Zeitbezügen frühestens ab 12 Jahre geeignet. Als Diskussionsgrundlage für generationenübergreifende Gespräche oder innerhalb entsprechender Schulfächer ist seine Anstößigkeit jedoch sicher noch von hohem Reiz.
Weitere Besprechungen zu Werk-Neuauflagen von Erich Kästner siehe:
Erich Kästner: Die Konferenz der Tiere (1998)
Vorlesetipps-Sampler
Erich Kästner: Die Schildbürger (1993)
Erich Kästner: Gullivers Reisen (1993)
Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war (1993)
Sekundärliteratur:
Klaus Kordon: Die Zeit ist kaputt - Die Lebensgeschichte des Erich Kästner (1994)