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Als zu Ferienbeginn die 11-jährige Luca ihrem entwischten Kater Scottie nachläuft, gerät sie auf den großen Friedhof der Stadt und sieht ihren Kater alsbald inmitten hunderter Katzen thronen. Wie Luca bald erfahren sollte, wurde diese Versammlung einberufen, um eine erneute Schreckensherrschaft der Ratten abzuwenden. Allerdings scheint diese nicht nur für Katzen bedrohliche Lage völlig aussichtslos ...
Michael Kleeberg hat als mehrfach preisgekrönter Autor mit "Luca Puck und der Herr der Ratten" sein erstes Kinderbuch vorgelegt. Verortet ist es in drei nicht exakt bezeichneten Stadtvierteln von Paris: In der Nähe des "großen Friedhofs" leben Luca und ihr Vater, und das allein deshalb, weil in "der großen Stadt" Paris Lucas Mutter gestorben ist - woher die beiden ursprünglich stammen, wird nicht erläutert. Dann gibt es noch das "Blechviertel", in dem vor allem afrikanische Migranten hausen und deren Kinder u.a. in und auf Müllbergen Brauchbares aussortieren. Einziger Lichtblick hier sind Lisa und Bruno, die in ihrem "Kinderland" die Kinder der Umgegend zu betreuen und versorgen versuchen. Das dritte Viertel mit Präfektur und Gefängnis als Handlungsorten zeichnet sich hingegen vor allem durch eine auf Größe bedachte, einschüchternde Architektur aus. "Bereist" wird dieses Dreieck von Luca auf dem Taxi-Dreirad Aristids, der sich nach und nach vom phlegmatischen Fernsehgucker zum geradezu artistischen Fahrradfahrer mausert.
Während Luca und ihre menschlichen wie tierischen Freunde allesamt so charmante wie widersprüchliche Eigenarten aufweisen, haben deren z.T. äußerst brutalen Gegner meist lediglich das Format von Knallchargen, die für Erwachsene im selbstgefällig übermächtigen Präfekten mit dem nach Krankheit und Krebstumor klingenden Namen Morbus de Sarkomi als unschwer kenntliche Verballhornung des früheren Präsidenten Frankreichs gipfelt.
Auf dieser Schwarzweißgrundierung entspinnt Kleeberg dann jedoch noch mit einiger Raffinesse eine bei aller Phantastik meist überzeugende und insgesamt sehr spannende Geschichte.
Warum er überhaupt das ansonsten nur beiläufig eingeführte Paris als Folie für eine "große Stadt" nutzt und seine Geschichte nicht z.B. in Berlin oder gleich in einer Phantasiestadt spielen lässt, hat nämlich mit dem speziellen Bezug Frankreichs zu den bereits erwähnten afrikanischen Einwanderern zu tun. Denn der wiederum ist insbesondere für die Katzen in dieser Geschichte von großer Bedeutung.
So stellt er den Kampf zwischen Katzen und Ratten als Teil einer Überlieferung vor, die auf dem Erzählkanon zweier uralter Religionen gründet. Dass die Katzen sprechen und diese Fähigkeit vertrauenswürdigen Menschen offenbaren können, beruht demnach auf der Tradition altägyptischer Gottheiten - die Ratten hingegen berufen sich auf den hinduistischen Ganesha, der Mäuse und Ratten als Reittiere nutzte. Während die Katzen "naturgemäß" selbstbewusste Einzelgänger sind, folgen die Ratten immer wieder einem "Ganesha", sofern er nur die Schriftzeichen auf einem Denkmal eines altägyptischen (???) Magiers zu lesen und zu sprechen weiß - auch wenn es diesmal nur der gierige Pferdemetzger Sanginjoll ist, der sich mit dem Präfekten verbündet hat, um das Gebiet des "Kinderlandes" zugunsten gewinnbringender Fabrikgebäude planieren zu lassen.
Nur gut, dass Luca und ihre Freunde immer mehr über sich selbst hinauswachsen und dadurch am Ende auch die Ratten ihren selbst ernannten "Herrn" über sie durchschauen lernen.
Trotz der Mäkeleien des Rezensenten werden gewiss nicht wenige Kinder (und Katzenliebhaber) dieses Buch als Abenteuerferienschmöker zu schätzen wissen.
Doch hätte Kleeberg das Alter seiner Zielgruppe von vorneherein etwas angehoben, müsste seine Geschichte nicht von den beschriebenen Unschärfen und Inkonsistenzen - inklusive der unfreiwillig komischen, konsequent deutsch-lautierten Schreibweise französischer Eigennamen - getragen werden und wäre damit noch überzeugender, womöglich sogar preisverdächtig geraten. Leider meinen allerdings auch immer mehr bekannte Verlage, gerade an hierfür notwendiger Unterstützung durch ein seinen Namen verdienendes Lektorat sparen zu müssen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Michael Kleeberg siehe:
Michael Kleeberg: Der saubere Tod (1987)
Michael Kleeberg: Luca Puck und der Herr der Ratten (2012)